Zivildienst häppchenweise

Ein Jahr legale Kriegsdienstverweigerung in Schweiz

Die Schweiz und das Militär – das ist bekanntlich ein Kapitel für sich. Einerseits erreichte die Initiative "Schweiz ohne Armee" (SoA) 1989 bei einer Volksabstimmung 38 Prozent an Zustimmung in der wahlberechtigten Bevölkerung. Andererseits hat fast jeder männliche Bürger eine Knarre im Schrank, und die Schweiz verwehrte bis 1996 Kriegsdienstverweigerern ein straffreies Leben. Doch der Erfolg der SoA-Initiative zwang das Schweizer Parlament, sich mit Verbesserungen zugunsten der KDVer auseinanderzusetzen. Eine 1990 eingereichte parlamentarische Inititiative führte 1992 zu einer Volksabstimmung und erreichte dabei 83 Prozent für folgende Ergänzung im Artikel 18 der eidgenössischen Verfassung: "Jeder Schweizer ist wehrpflichtig. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor." Seit dem 1. Oktober 1996 ist das entsprechende Zivildienstgesetz in Kraft getreten. Ruedi Winet von der "Beratungsstelle für Wehrdienstverweigerung und Zivildienst" aus Zürich berichtete auf einer Fachtagung der Zentralstelle KDV in Niedersachsen von den ersten Erfahrungen.

Zivildienstgesuche, "de facto KDV-Anträge", so Ruedi Winet, können grundsätzlich jederzeit eingereicht werden. Nach offiziellen Zahlen waren das im ersten Jahr 2200 von insgesamt 35 000 jungen Männern, die ins wehrpflichtige Alter gekommen sind. Voraussetzung für ein Zivildienstgesuch ist einzig, daß der Antragsteller militärdienstpflichtig ist, das heißt, er muß erfaßt und gemustert sein. Wer den Antrag fristgerecht einreicht – mindestens vor einer militärdienstlichen Leistung – ist bis zur endgültigen Entscheidung automatisch von jedem Militärdienst befreit. Wer seinen Antrag verspätet einreicht und auch nicht einrückt, muß mit einem Strafverfahren wegen "Militärdienstverweigerung" rechnen. Wer erst gar kein Gesuch einreicht und trotzdem dem Militär fernbleibt, wird als Totalverweigerer behandelt und mit bis zu zehn Monaten Gefängnis bestraft.

Gewissensprüfer per Inserat

Über den Zivildienstantrag entscheidet, wie es auch in der Bundesrepublik Deutschland beliebt war und ist, ein Gewissens-TÜV in Form eines Ausschusses. Sinnigerweise sind dieser Ausschuß und auch die Zivildienstbehörde dem Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Biga) angegliedert. Kurios ist auch die Zusammensetzung der Kommission. Neben dem Antragsteller und einem eventuellen Beistand urteilen drei Mitglieder der Kommission sowie ein Vertreter des Biga. Ausgewählt werden die Mitglieder zwar vom Wirtschaftsministerium, doch das Militärministerium hat ein Mitspracherecht.

Die gegenwärtig rund 120köpfige Kommission setzt sich je zur Hälfte aus Männern und Frauen zusammen, die sich auf Inserate in Tageszeitungen hin gemeldet haben und diesem Nebenjob beim Gewissens-TÜV etwa 20 Tage im Jahr ausüben. Bis zu einer Stunde kann das peinliche Verhör dauern. Zwar sind alle Gewissensgründe zugelassen, sofern sie "komplexe innere Vorgänge bezeichnen, welche die einzelne Person dermaßen zu einem bestimmten Verhalten verpflichten, das daraus eine Identitätsfrage wird und ein Zuwiderhandeln die sittliche Persönlichkeit schädigen oder zerbrechen" würde. Wie üblich begünstigt diese Anforderung Personen mit höherer Schulbildung, ganz abgesehen von Unmöglichkeit, ein Gewissen zu prüfen.

Zivildienst in Etappen

Konnte "eine Kohärenz von Denken und Handeln" nachgewiesen werden, hat der Schweizer Zivi 15 Monate Dienst vor sich, eineinhalbmal so viel wie ein Wehrdienstleistender. In der Schweiz wird der Militärdienst nicht im Block abgeleistet, sondern zwischen dem 19. und 42. Lebensjahr über mehrere Abschnitte verteilt. Auch der Zivi muß sich für seinen Dienst mindestens drei Jahre Zeit lassen, acht Monate darf er am Stück nehmen, den Rest häppchenweise absolvieren.

Immerhin können die Schweizer Drückeberger zwischen einigermaßen attraktiven Einsatzbereichen wählen. Neben dem üblichen sozialen Bereich sind das auch Stellen bei Umweltschutzverbänden, Biobauern oder im universitären Forschungsbereich. Die Stellen müssen zuvor ihre Anerkennung beantragen. Zwar sollen die ZD-Plätze "arbeitsmarktneutral" sein, doch in der Praxis konkurrieren sie oft mit Beschäftigigungsprogrammen für Arbeitslose. Im Gegensatz zum bundesdeutschen Kollege ist der Schweizer ZDL jedoch kein Hungerleider. Der Sold sieht ein Minimum von 1080 Franken im Monat vor. Hat der Zivi eine Anstellung oder selbstständigen Broterwerb, wird sein Einkommen oder Lohn fortgezahlt.

"Egoistischer" Pfarrer im Knast

Wie nicht anders zu erwarten, ist die Information über die Möglichkeit des Zivildienstes äußerst bescheiden und meistens auch noch falsch. Weil das Strafgesetz den öffentlichen Aufruf zur Militärdienstverweigerung verbietet, bewegen sich KDV-Organisationen bei ihrer politischen Arbeit immer am Rande einer Straftat. Eine Interessensvertretung der Zivis ist ebenfalls nicht vorgesehen. Auch für Totalverweigerer hat sich nichts geändert. Allerdings ist es seit Inkrafttreten des Zivildienstgeseztes zu weniger TKDV-Prozessen gekommen. Doch wenn, dann gibt es keine Gnade. Ein Pfarrer, der seine verbliebenen 52 Militärdiensttage verweigerte und auch den Zivildienst als Teil der Wehrpflicht ablehnte, wurde wegen "ausgeprägten Egoismus" zu vier Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt.

Matthias Kittmann

 

Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 4/97 entnommen.