tilt - Wehrpflicht, Zwangsdienste, Militär Seitlich hinten
Vorgestern, ich durchmesse gerade mit weiten Schritten den ultrahocherhitzten Berliner Hauptbahnhof, kommen mir auf einmal drei niedere Beamte des Bundesgrenzschutzes entgegengekeult. Sie schwitzen heftig und sehen überhaupt etwas unglücklich aus, fast so, als seien sie im Einsatz. Aber ja, ich vergaß, an diesem Tage blockieren doch wieder diese feigen Schweine, welche für den Frieden sind, die Gleise, auf denen gerade frische Rekruten in die Bundeswehrkaserne "Ribbentrop" rollen wollen, weshalb der BGS das pazifistische Pack (wie alle halbe Jahre) von den Gleisen tragen muß. Also deshalb rennt das Trio, denn der Fahrplan muß ja eingehalten werden, sonst ist die Effektenkammer schon zu, wenn die Muschkoten ankommen. Einer der Bundespolizisten nestelt im Laufen an seiner seitlich hinten angebrachten Pistolentasche, ja, tatsächlich, er scheint sie öffnen zu wollen, und ich sage mir, da sind wahrscheinlich keine Erfrischungstücher drin, nun, er wird wohl einen dieser ungedienten, gewaltfreien Wehrkraftzersetzer erschießen wollen, versehentlich natürlich, weil die Dienstwaffe, wie in letzter Zeit so üblich, eben irgendwie losgehen wird und - schade, schade - zufällig genau in den Hinterkopf. Dann verschwinden sie in die Bahnhofshalle und ich rasch in die Gegenrichtung, um einem Knalltrauma zu entgehen.
Wie gesagt, das war vorgestern, und heute ist demnach übermorgen. Bis jetzt haben die Zeitungen nichts gemeldet von einem Wehrdienstverweigerer, der bei einem tragischen Schußwaffenunfall auf dem Hauptbahnhof ums Leben kam. Bestimmt wird der Fall noch untersucht, die Zeugen sind unzuverlässig, und überhaupt herrscht Nachrichtensperre.
André Mielke
aus EULENSPIEGEL, August 1994
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