Unter Polizeigewalt zwangsgemustert

Christoph Kunstmann aus Saalfeld beruft sich auf den Grundgesetzartikel 4, Absatz 1. Schon die Musterung stellt eine Einschränkung dieses Grundrechts dar. Doch am 25. März wurde er mit Polizeigewalt zum Kreiswehrersatzamt (KWEA) Suhl gebracht. Er legte bei seiner Festnahme Widerspruch ein, als Zivilist in einen militärischen Bereich gefahren zu werden. Der aus dem DDR-Apparat übernommene Polizist Möller überschritt seine Kompetenzen, indem er Christoph tätlich anging und ihm die Jacke zerriß. Trotz seines Einspruchs wurde Christoph nach Augenschein gemustert. Das Musterungsergebnis lautete trotz des Fiebers und der Kopfschmerzen Christophs: T1. Protestfaxe und Briefe an:

Kreiswehrersatzamt Suhl z.H. Herr Zahrer, Zellaer Straße 152a, 98528 Suhl, Fon (03681) 4430, Fax: (03681) 443361.

Sven Albrecht konnte sich fast drei Jahre lang der Musterung entziehen bevor er - ausgerechnet am Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerer 1995 - zwangsgemustert wurde. Er widersprach dem Bußgeldverfahren. Das wurde eingestellt und er wegen seiner Ausbildung zurückgestellt. Unterstützung erhält er auch durch seinen Vater. Der hatte im Dezember 1993 beim Petitionsausschuß des Bundestages die ersatzlose Abschaffung der Wehrpflicht und die Anerkennung von totalen Kriegsdienstverweigerern gefordert. Bisher jedoch erfolglos.

Prozesse

Oliver Blaudszun war am 22. Januar 1996 zu drei Monaten auf Bewährung verurteilt worden (siehe tilt 1/96). Am 30. Oktober fand vor dem Landgericht Berlin die Berufungsverhandlung statt. Oliver hätte gar nicht zur Bundeswehr einberufen werden dürfen, da er bereits zu DDR-Zeiten verweigert hatte. Dies wurde vom Gericht ausdrücklich bestätigt. Der Richter wollte das Verfahren einstellen, doch Staatsanwältin Pogoda-Hammerschmidt verweigerte ihre Zustimmung. Sie forderte gar sechs Monate Haft. So blieb der Richter beim alten Urteil und begründete: Weil Oliver Widerspruch gegen seine eigentlich unrechtmäßig erfolgte Einberufung eingelegt habe, habe er diese anerkannt und somit vorsätzlich gehandelt, was eine Verurteilung rechtfertige. Anwalt Wolfgang Kaleck legte Revision ein, ebenso wie die Staatsanwaltschaft.

Tino Sowada (27) wurde am 7. November 1996 vom Amtsgericht Brandenburg wegen eigenmächtiger Abwesenheit zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 50 Mark verurteilt. Vom Vorwurf der Gehorsamsverweigerung wurde er freigesprochen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Tino war der Einberufung zum Panzerbataillon Brück im Juli 1995 nicht gefolgt. Einen Monat später begab er sich in die Kaserne. 77 Tagen Arrest waren dafür der Dank. Richter Bredahl bemängelte in seiner Urteilsbegründung, daß "der Gesetzgeber bislang keine Regelung zum "Totalverweigerer" getroffen" hat und erkennt: "Die Stellung eines KDV-Antrages hätte das rechtliche Problem des Angeklagten lediglich verlagert, jedoch nicht gelöst." Tino hatte bereits den Waffendienst in der NVA verweigert und wurde als Bausoldat gemustert.

Im Prozeß gegen Christian Pekeler am 16. Dezember (siehe tilt 1/97) führte Richter Domke aus: "Das Recht des Angeklagten, den Wehrdienst zu verweigern, bezieht sich nur auf den Wehrdienst mit der Waffe." Die erkannte Bewährungsstrafe von drei Monaten sei "lediglich als Schuß vor den Bug zu verstehen." Das Gericht gehe davon aus, daß er innerhalb der Bewährungszeit erneut einberufen wird und bei weiterer Weigerung mit erneut bestraft wird. "Es ist nicht anzunehmen, daß der Angeklagte durch Beharren auf seiner jetzigen Haltung seine bürgerliche Existenz auf Spiel setzen wird."

Matthias Templin (27) wurde am 21. Februar vom Amtsgericht Hamburg wegen Dienstflucht zu sechs Monaten auf drei Jahre zur Bewährung verurteilt. Der Staatsanwalt hatte neun gefordert. Verteidigerin Gabriele Heinecke verwies darauf, daß das Zivildienstgesetz gegen die grundgesetzlich verbriefte Gewissensfreiheit verstößt und forderte Freispruch. Richter Thomas Hinrichs berücksichtigte strafmildernd, "daß Herr Templin aus der früheren DDR stammt." Während des Wehrkundeunterrichts in Malchin (MeckPomm) weigerte sich Matthias, über den Platz zu robben, was ihn fast die Lehrstelle als Binnenfischer gekostet hatte. In der zu Ende gehenden SED-Zeit verteilte er Plakate und Postkarten für das Recht auf KDV "Frohes Schaffen ohne Waffen" und wanderte in die Hansestadt aus.

Gegen Hans-Caspar Graf von Bothmer wurde am 5. März vor dem Landgericht Berlin verhandelt. Die Berufung wurde verworfen und das Amtsgerichtsurteil, sechs Monate ohne Bewährung, bestätigt. Hans-Caspar und Anwalt Wolfgang Kaleck kündigten Revision an.

 

Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 2/97 entnommen.