Wehrpflichtbefürworter ziehen sich hinter die Oder zurück

Und es war Sommer: Wieder mal eine Berufsarmee-Debatte

Es wurde dann doch noch Sommer in diesem Jahr. Das merkte man noch nicht mal so sehr am Wetter, sondern eigentlich eher am Loch, dessen Vorname eine Jahreszeit ist. Und wie jedes Jahr gibt es im Sommer-Loch eine Wehrpflicht-Diskussion, weil wir sonst nicht merken würden, daß Sommer ist.

Schuld hat nicht, wie Extrabreit schon vor Jahren vermutete, der Präsident, sondern vielmehr die FDP. Die plant nämlich für den Herbst einen Mitgliederentscheid. Mitgliederentscheide hat die FPD ganz besonders gern - erstens müssen da nicht soviele Stimmen ausgezählt werden, und außerdem kommt man da immer über fünf Prozent. Der große Koalitionsbruder mag die Idee dagegen nicht. Volker Rühe tönte, für ihn habe die Wehrpflicht den "Rang einer Koalitionsfrage" (wahrscheinlich ist das noch ein Rang höher als Brigadegeneral), und bekommt dabei auch noch Rückdeckung von Kanzler Kohl. Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU, Paul Breuer, erklärte, seine Partei werde sich von einem Mitgliedervotum der FPD nicht irritieren lassen. Und, wenn man mal ehrlich ist: Über die Zukunft der Wehrpflicht wird in einem Mitgliedervotum der FDP in genau demselben Maße entschieden wie in einem tilt-Redaktionsbeschluß. Gar nicht.

Offen ist, ob die FDP zum Ergebnis kommt, die Wehrpflicht abzuschaffen oder nur aussetzen zu wollen. Auch ein allgemeiner Gesellschaftsdienst steht zur Debatte. Die Diskussion treibt seltsame Blüten: Während der FDP-Politiker Jürgen Koppelin der Bundeswehr bei einem Beibehalt der Wehrpflicht den Zusammenbruch durch Geldmangel prognostiziert, behauptet FDP-Wehrexperte Nolting, die Wehrplicht sei bei künftigen Hochwässern unverzichtbar. Wo Deutschland in Zukunft dank Nato-Osterweiterung von Freunden umzingelt ist, müssen halt neue Feindbilder herhalten - und seien sie auch von vorneherein etwas verwässert. Inzwischen haben die Freidemokraten allerdings den Schwanz eingekniffen und erklären, sie würden das Thema Wehrpflicht in dieser Legislaturperiode nicht mehr zum Koalitionsthema machen.

Zur Zeit gibt es in der Bundeswehr noch 45 Prozent Wehrpflichtige - der Rest sind Berufs- und Zeitsoldaten. Rühe zieht sich im Kampf um die Wehrpflicht argumentativ hinter die Oder zurück und holt noch einmal den demokratietheoretischen Deppen-Vorschlaghammer aus der Mottenkiste: Eine Wehrpflichtarmee sei viel besser in der Gesellschaft verankert als eine Berufsarmee. Von Theo Waigel stammt das schönste Zitat in diesem Zusammenhang: Die Bundeswehr sei eine "Volksarmee". Und Rühe setzt noch eins drauf: "Die beste Kontrolle der Armee sind die Wehrpflichtigen, ihre Eltern, ihre Großeltern, die Freunde und Verwandte. Das sind Hunderttausende von Menschen, die an jedem Tag im Jahr diese Armee von unten her kontrollieren." Wie wirksam diese Kontrolle funktioniert, zeigen die jüngsten Beispiele, in denen Wehrpflichtige eine Dresdner Ausländerunterkunft angezündet, Ausländer verprügelt oder Horrorvideos gedreht haben. Wenn Rühe behauptet, eine Berufsarmee würde Rambos anziehen, sollte er sich darüber im klaren sein, daß eine Wehrpflichtigenarmee das auch tut. Kamele drängen halt zur Wasserstelle, egal, ob bezahlt oder dienstverpflichtet.

Rühe möchte mit einer Propagandakampagne "Wehrpflichtige '97" für 11 Millionen Mark und Werbespots, die die Bundeswehr als äußerst trendige Angelegenheit verkaufen, die vor allem unser Recht auf Werbefernsehen verteidigt, sogar mehr dieser gefährlichen Leute für den Bund begeistern. Begründung: Die Wehrpflicht sei aus der Sicht der jungen Menschen nicht mehr selbstverständlich.Und wo er gerade so schön dabei ist, will Rühe auch die Frauen Bund locken und das durch eine Grundgesetzänderung möglich machen. Die Grünen kontern: Nicht die Frauen sollen rein in die Bundeswehr, sondern die Männer raus. Angelika Beer, verteidigungspoltische Sprecherin der Grünen, hält auch die Behauptung, ohne Wehrpflichtarmee sei der Oder-Einsatz nicht möglich gewesen, durch das freiwillige Engagement der Gesellschaft für die Betroffenen widerlegt. Und folgert: "Wir fordern die Abschaffung der Zwangsdienste als ersten Schritt zu drastischer Abrüstung. Eine in kürze halbierte Freiwilligenarmee wäre der beste Weg, um im Rahmen der dringend notwendigen Zivilisierung der Außenpolitik zivile und freiwllige Dienste zu unterstützen".

Unterderssen möchte die SPD vorläufig an der Wehrpflicht festhalten, aber die Wehrdienstdauer auf neun Monate herunterschrauben und die Bundeswehr auf 250 000 Mann personell abzurüsten. Dadurch ließen sich die Personalkosten um 6,5 Milliarden Mark oder 25 Prozent reduzieren. Eine Mehrheit von Soldaten soll acht Monate dienen eine Minderheit zwölf Monate, dafür aber keine Wehrübungen machen müssen. Langfristig können sich die Sozialdemokraten auch eine Aussetzung der Wehrpflicht vorstellen.

Johannes H. Guthschink

 

Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 3/97 entnommen.