Zivildienst im Altersheim: Vielleicht nicht das schlimmste, was es gibt. Angenehm aber irgendwie auch nicht. Johannes Guthschink hat für tilt die Erfahrungen eines Zivis aufgezeichnet.
Morgens um fünf: Aufstehen. Waschen. Anziehen. Es reicht gerade mal für einen Kaffee. Hetzen zum Bus. Zum Bahnbus, der mich auch mit dem ZD-Ausweis für umsonst mitnimmt. Ich habe am ersten Tag zwar noch eine Auseinandersetzung mit dem Fahrer, der mir erklärt, daß ließe sich nur auf schienengleichen Strecken machen, aber spätestes nach dem dritten Mal kennt er mich und winkt mich grinsend durch. Um sechs Uhr morgens ist ohnehin nicht mit einem Kontrolleur zu rechnen. Auch mit den Schwestern im DRK-Altersheim habe ich ein gentleman agreement: Ich darf jeweils zwanzig Minuten zu spät zum Dienst kommen, weil nun mal kein früherer Bus fährt.
Umziehen. Warum eigentlich weiße Klamotten? Die werden doch immer besonders schnell dreckig.
Waschen, anziehen. Diesmal nicht mich. Diesmal ein Rudel verwirrter alter Menschen, die wir nicht so sehr als Menschen, vielmehr als Arbeit sehen, die erledigt werden muß.
Ich bin der einzige Zivi auf der Station. Insgesamt gibt es zwölf zwei davon sind dem Hausmeister zugeteilt, weil sie derselben obskuren Konfession angehören wie er. Der Rest ist mehr oder weniger gleichmäßig auf die vier Stationen verteilt. Meine ist die Station U. Unten.
In den ersten zwei Wochen komme ich mir ganz unten vor. Die ganze Scheiße (der Kot alter Leute stinkt besonders schlimm), die amputierten Gliedmaße, das ständige Wechseln der Erwachsenen-Pampers. Ich will den Job schmeißen, mich auf eine ruhige, friedliche, unverkotete Stelle versetzen lassen. Später stellt sich heraus: Wenn man die Zähne zusammenbeißt, beide Augen zudrückt und die Betroffenheit durch finstersten Zynismus ersetzt, kommt man ganz gut durch.
Vielen meiner Zivi-Kollegen setzt das ständige Sterben auf der Station zu. Mir nicht. Jeder Tote mehr ist ein Schwerstpflegefall, der viel Arbeit macht, weniger. Die Sterberate ist hoch, vor allem im Winter, wenn die alten Leutchen an einer einfachen Virusinfektion eingehen wie die Fliegen. Der Kühlraum im Keller ist immer gut gefüllt.
Mein Lieblingspatient ist J. J. ist sehr alt, er war in Stalingrad dabei. Jedes Jahr fährt er zu einem Veteranentreffen, bei dem alle Stalingrad-Überlebenden zusammenkommen. Warum eigentlich, frage ich mich. Reden kann der Mann nicht mehr, seit er einen russischen Granatsplitter ins Hirn bekam. Nur noch "Jungejunge", "Neiiin" und "Ach duuh" kann er sagen. Er humpelt mit einem Stock über die Station. Sein linkes Bein ist seit seinem Schlaganfall gelähmt. Ich kanns nicht lassen. Am Jahrestag des Kapitulation begrüße ich ihn mit dem schönen Satz: "Na, da hats uns der Iwan aber ganz schön gezeigt, heute vor 52 Jahren, was, Herr J.?" Er versucht sich, bei der Oberschwester über mich zu beschweren, aber was soll er machen mit dem Wortschatz?
Von Arbeitsmarktneutralität ist keine Rede. Irgendwie akzeptieren die Altenspfleger und Schwesternhelferinnen uns als nahezu gleichwertige Kollegen. Vorausgesetzt, wir klotzen ordentlich rein. Nichtstuer dagegen werden schnell beim Scheff, dem Verwaltungsleiter, diffamiert und anschließend diszipliniert. Die meisten Zivis sind stolz darauf, mehr, motivierter und präziser zu arbeiten als die Festangestellten. Teils sind die Festen wirklich Verbrecher. Einen haben wir gehabt, der war Sadist. Er war Stationsleiter, hatte sich lange krankschreiben lassen, kam dann zurück und mußte starke Herztabletten nehmen nach seinem ersten Infarkt. So starke, daß er den alten Leuten im Tran die falschen Tabletten gab. Er zwickte einen der Patienten; einen armen, unsicheren Mann mit einer Beinprothese, morgens beim Waschen ins Glied und machte ihn richtig fertig. Er stahl den alten Leuten Sachen und verkaufte sie auf dem Flohmarkt. Er kloppte Nazi-Sprüche und machte mich zu Sau, weil ich Zivildienst leistete. Schließlich wurde er gefeuert, kassierte aber eine dicke Abfindung, weil er zuviel über das Heim wußte.
Mit der politischen Einstellung meiner Zivi-Kollegen ist es nicht weit her. Einmal habe ich anläßlich eines Politiker-Besuchs bei uns im Heim einen Leserbrief geschrieben: "Zivis sind nützliche Idioten." Das hatte ich ausdrücklich als Mitarbeiter der Selbstorganisation der Zivildienstleistenden geschrieben. Da waren natürlich alle empört. "Ich bin doch kein nützlicher Idiot!" hieß es. Die Jungs brachten es sogar fertig, den Regionalbetreuer einzubestellen und wollten mich als Vertrauensmann abwählen. Haben sie dann aber nicht geschafft die stärkeren Bataillone waren mit mir. Aber sonst gab es wenig konzertierte Aktion: Zivi-Besprechungen gab es nicht, weil alle meinten: "Was sollen wir da denn besprechen?"
Sogar einen Totalverweigerer hatten wir. Der setzte sich nach einem halben Jahr, in dem er ohnehin fast nur krankgefeiert hatte, ab und tauchte unter. Später hab ich ihn in einer Kneipe wiedergetroffen. Besonders verfolgt sah er eigentlich nicht aus.
Ich hab meinen Dienst ganz brav zuende gemacht. Froh war ich schon, habe aber auch gedacht, was sinnnvolles getan zu haben. Das am Zivildienst was ganz grundsätzlich faul ist, hab ich erst später gemerkt.
Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 3/97 entnommen.