Von der SED verfolgt

Die Friedensgemeinschaft Jena

"Zehn sind manchmal mehr als Zehntausend" ist der Titel einer Tagung zur Friedensgemeinschaft Jena, die am 31. Oktober und 1. November 1997 im Volkshaus Jena stattfindet, veranstaltet vom Matthias-Domaschk-Archiv und der Geschichtswerkstatt Jena. Die Friedensgemeinschaft stellte im Jenaer Frühling 1983 ein Novum in der DDR dar: Eine unabhängige politische Basisgruppe außerhalb kirchlicher Räume.

Die DDR war zu Beginn der 80er Jahre von einer zunehmenden Militarisierung geprägt: Kriegsspielzeug im Kindergarten, obligatorischer Wehrkundeunterricht, Zivilverteidigungspflicht und das Fehlen jeder Alternative zum Militärdienst. Im März 1982 kam die Ausweitung der Wehrpflicht auf Frauen hinzu. Sowjetische Soldaten mordeten in Afghanistan und im Nachbarland Polen herrschte das Kriegsrecht. Die Blockkonfrontation spitzte sich zu und drohte die Welt in die atomare Katastrophe zu stürzen.

Vor diesem Hintergrund fanden sich seit etwa 1980 Menschen verschiedener politischer Herkunft zu Friedenskreisen zusammen. Öffentliche Zusammenkünfte jeglicher Art waren unter Strafe gestellt. Strafrechtsparagraphen drohten mit langjährigen Haftstrafen für "staatsfeindliche Gruppenbildung", "öffentliche Herabwürdigung" und andere frei auslegbare Delikte. So blieb eigentlich nur die Möglichkeit, sich innerhalb kirchlicher Räume zu treffen.

Schwerter zu Flugscharen oder zu SoFD-Eis?

Einen solchen Ort stellte die Offene Arbeit der Jungen Gemeinde Jena-Stadtmitte dar. Bei einem ihrer Werkstattwochenenden wurde im 1981 der Aufruf zum Sozialen Friedensdienst (SoFD) vorgestellt. Trotz Bedenken gegenüber einer längeren Dienstzeit und des Zwangsdienstcharakters wurde das "Königswalder Papier" unterstützt. Bald stöhnten MfS-Offiziere in Gera in ihren Rapporten über die "im Zusammenhang mit der Problematik SOFD/Pazifismus zahlreich zusätzlich zum Jahresplan anfallenden Arbeiten". Unbedingt sollten der "konkrete personengebundene IM-Einsatz" festgelegt, feindliche Handlungen nachgewiesen werden, forderte die Stasi-Bezirksverwaltung. Die Vorgangsgruppe des Oberstleutnant Günter Horn wurde dazu verstärkt. IMs wurden instruiert, Einfluß zu nehmen, "daß die Aufnäher von den Flugscharen nicht getragen werden". Der IM Vikar Stanescu hetzte gegen den SoFD. Nach einer Veranstaltung berichtete er seinem Führungsoffizier Hauptmann Köhler: "So schlugen sich einige Jugendliche mit dem Gedanken, den Wehrersatzdienst auch zu verweigern." Der IM "Carlo" berichtete eifrig und selbst "Jugendpfarrer" Nenke arbeitete als IM "Ernst Brenner". Ein Teil der Jugendlichen verließ, einem sicheren Instinkt folgend, den "Schutzraum" Kirche, der eher Kontrollraum war und traf sich konspirativ in wechselnden Wohnungen. Sie regten nach einem Diskussionsabend "Keine Moneten für Atomraketen" eine Unterschriftensammlung an. Breschnjew und Reagan sollten zur sofortigen Einstellung der atomaren Rüstung und Vernichtung vorhandener Kernwaffen und zum ersten Schritt zur Abrüstung aufgefordert werden. Die genannten IM verzögerten die Unterschriftensammlung und alarmierten die Stasi. Obwohl "der Text offensichtlich strafrechtlich nicht relevant ist", wurde dessen Verbreitung befürchtet. Stasioberst Coburger und der Staatssekretär für Kirchenfragen IM Klaus Gysi schalteten sich ein. Jetzt folgten Verhöre und Durchsuchungen. Einige durften tagelang das Stadtgebiet nicht verlassen und wurden observiert. Solidarität seitens der Kirche blieb aus. Kein Wunder, die Thüringer Kirchenleitung war zu 50% stasidurchsetzt. Als ein Friedensgottesdienst in Regie von Mitgliedern der Jungen Gemeinde zum Jahrestag der Bombardierung Jenas im März 1982 nicht stattfinden durfte, wurde es den Jugendlichen endgültig zu bunt - sie verließen die JG.

In gemeinsamen Diskussionen entstanden 1982 die Jenaer Friedensforderungen. Gefordert wurden Informationen über den Bausoldat an den Schulen, Freiwilligkeit von Zivilverteidigung und paramilitärischer GST, Friedenskunde statt Wehrkunde, Sozialer Friedensdienst ohne Gewissensprüfung. Besatzertruppen sollten aus Osteuropa und beiden deutschen Staaten abziehen, die Grenzen geöffnet werden. Das Volk sollte über alle Fragen der Friedenspolitik abstimmen können und der Einsatz für den Frieden nicht mehr als staatsfeindlich verfolgt werden.

"Wir sind keine Feinde speziell eines Landes und schon gar nicht die unseres Landes. Doch wir wollen in diesem Lande sprechen und handeln. Solange dieser Staat seine gesamte militärische Potenz nur aufbessert, dient auch er nicht der Entspannung der Weltlage."

Im November 1982 fand im Stadtzentrum ein Schweigekreis für den Frieden statt. Vom nächsten geplanten Schweigekreis-Termin war die Stasi informiert. Sie reagierte mit Vorbeugehaft und massiver Absperrung der Stadt. Unter dem Namen "Opposition" legte sie eine Akte gegen 12 Friedensbewegte an. Im Eröffnungsbeschluß heißt es: "Die im Vorgang erfaßten Personen bilden den Kern eines negativ feindlichen personellen Zusammenschlusses. Sie unterhalten Verbindungen in die BRD. Diese Verbindungen sind der sogenannten internationalen Friedensbewegung zuzuordnen und versuchen, in der DDR eine sogenannte außerstaatliche Friedensbewegung und mit dieser eine innere Opposition in der DDR zu installieren."

Die Verhaftungswelle

Inzwischen saßen andere schon im Knast. Michael Blumhagen, der eine Gedenkplastik für den 1981 in Stasi-U-Haft zu Tode gekommenen Matthias Domaschk schuf, wurde kurzfristig einberufen. Das Zusammenwirken von Stasi und dem Wehrkreiskommando hatte funktioniert. Nach seiner Inhaftierung wegen Wehrdienstverweigerung, wurde sein Haus abgerissen. Nachdem Freunde Fotos dieser Staatsaktion im "Stern" veröffentlichten, war deren Inhaftierung vorprogrammiert. Roland Jahn wurde am Weltfriedenstag wegen eines polnischen Fähnchens am Fahrrad verhaftet, auf dem stand "solidarnosc z polskim narodam". Dann ging es Schlag auf Schlag, die Stasi-U-Haft Gera füllte sich und die Abteilung IX verhörte, ordnete Hausdurchsuchungen und Kündigungen an, schnüffelte in privaten Briefen und beschlagnahmte Papiere mit Aufschriften wie "Kauft kein Kriegsspielzeug".

Aufgrund einer Solidaritätsaktion mußten Ende Februar 1983 14 Inhaftierte freigelassen werden. Doch die Stasi plante bereits die Aktion "Gegenschlag", die die Ausbürgerung von über 40 Personen vorsah.

Der kurze Frühling des Aufbruchs

Nach den Haftentlassungen gründete sich die Friedensgemeinschaft offen und machte mit Demonstrationen, Offenen Briefen, Appellen, Flugblättern, Klebeaktionen und fotografischen Dokumentationen von sich reden. Doch auch in dieser Zeit kam es immer wieder zu Zuführungen, Verhören, Drohungen, Observationen. Gezielt wurden Gerüchte gestreut, Telefone und Post überwacht, Wanzen in Wohnungen eingebaut. Es schien zwar, als ob sich die SED keine neuen Inhaftierungen leisten könne, sicher war das keinesfalls. Eine beantragte Demonstration der Friedensgemeinschaft am Jahrestag der Bombardierung Jenas wurde mit der Begründung abgelehnt, es gebe bereits eine staatliche Friedenskundgebung am 18. März. Friedensgemeinschaft und Sympathisanten beteiligten sich mit eigenen Plakaten. Diese wurden von ergebenen Genossen zerfetzt, es wurde bedroht, beschimpft, gestoßen ungeachtet vieler Kleinkinder. Am Abend fand ein Friedensgottesdienst statt. 96 Teilnehmer/innen unterzeichneten einen Protest an Honecker, obwohl der anwesende Bischof Leich dies zu verhindern suchte. Am 19. März legten Uwe Sinnig und Jan Seifert einen Kranz mit der Aufschrift "In ehrendem Gedenken - Friedensgemeinschaft Jena" mit dem Symbol "Schwerter zu Pflugscharen" am neuen Gedenkstein nieder. Stasileute begannen ein Handgemenge und zerrissen die Kranzschleife. Zur Großkundgebung der FDJ kam es zu den gleichen Szenen.Jetzt wurde blitzartig ausgebürgert. Manche hatten nicht einmal drei Tage Zeit, ihre Sachen zu packen. Roland Jahn wurde am 8. Juni 1983 in einem Interzonenzug angekettet und zwangsabgeschoben.

Eine Forderung der Friedensgemeinschaft war die freie Kontaktmöglichkeiten zu Friedenskreisen im In- und Ausland. Kontakte zu niederländischen und bundesdeutschen Totalverweigerern wurden gesucht, persönliche Friedensverträge geschlossen. Die Stasi schrieb Michael Blumhagen die Erfindung der Persönlichen Friedensverträge im Mai 1983 zu. Blumhagen hatte vorgeschlagen, "in der Schlachtordnung Lücke gegen Lücke zu stellen."

Gerold Hildebrand

 

Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 3/97 entnommen.