Der Artikel zur TKDV-Bewegung ist in mehrfacher Hinsicht enttäuschend. Nicht nur, daß es mit den Fakten - wie fast immer, wenn tilt sich zur TKDV äußert - hapert. Viel ärgerlicher ist, daß hier von einer Seite - teilweise berechtigte, teilweise vollkommen unsachliche - Kritik an den inneren Strukturen der TKDV- Bewegung geäußert wird, die sich selbst nie solidarisch verhalten hat, zumindest, wenn Solidarität sich auf konkrete politische Inhalte bezieht und nicht nur Lippenbekenntnisse betrifft. Die destruktive Zielrichtung des Artikels selbst ist erneut Beweis hierfür.
Der Artikel hat überhaupt kein Interesse an einer differenzierten und analytischen Auseinandersetzung mit der TKDV. Wenn tilt meint, es müsse das "Natürlichste der Welt" für junge Männer sein, alles daran zu setzen, die Wehrpflicht zu vermeiden, so mag das die politische Auffassung der Redaktion sein. Die der Totalverweigerer ist es nicht.
Mindestens kühn ist die These, die Totalverweigerer seien eine "aussterbende Minderheit", die Anfang der 80er Jahre bedeutender und bekannter gewesen sei. So beträgt die Zahl der Amtsgerichts-Verfahren gegen Totalverweigerer seit 1993 etwa 25 pro Jahr. Zahlenmäßig belegbarer Höhepunkt der Totalverweigerer-Bewegung in den 80ern war jedoch nicht der Anfang jenes Jahrzehnts (durchschnittlich 11 pro Jahr), sondern die Mitte (20 im Jahr 1985).Von 1986 bis 1995 stieg die Zahl von 7 auf 36! Aus verschiedenen Faktoren läßt sich schätzen, daß die Anzahl derzeit einen tatsächlichen Wert (inkl. unbekannte TKDVer) von 115 bis 190 hat.
Die Medienpräsenz sei gesunken. Auffallend ist, daß auch hier offensichtlich eine recht subjektive Betrachtung vorliegt. Noch zu Beginn der 90er Jahre konnten die Medien den Begriff des Totalverweigerers nicht ohne weiteres unterordnen und stellten ihn zumeist in einem Halbsatz. Dies ist inzwischen weitgehend überflüssig geworden.
Die Verlängerung der Arrestzeiten von 63 auf etwa 84 Tagen sei "nur regional kurzzeitig" in den Medien gewesen. Es ist wohl vielmehr so, daß bezweifelt werden darf, ob im ganzen Jahr 1985 bundesweit so viele Artikel zur Totalverweigerung erschienen sind wie alleine zur Arrestierung Lothar Lehmanns. Inhaltliche zum Teil berechtigte Kritik an Mediendarstellung gibt der Artikel selbst!
Einzige Konstante in der TKDV-Bewegung sei die Fluktation. Ich denke, daß ist auch bei vielen anderen Bewegungen so. Daß dieses Phänomen bei Totalverweigerern deutlicher hervortritt, ist auch durch die bei den Betroffenen zunächst zeitlich begrenzte Problematik zu erklären. Dennoch gibt und gab es immer Leute, die über ihre eigene Betroffenheit weiter tätig geblieben sind. Das waren nie sehr viele, von daher sind es aber auch derzeit nicht bedeutend weniger. Nur der Prozentsatz sinkt, das aber liegt wiederum an der steigenden Zahl der Totalverweigerer. Und andere Konstanten haben auch einen Namen, beispielsweise das OHNE UNS (13 Jahre) oder der UrIS (12 Jahre bzw. mit seinem 18 Jahre
Und wer nun ist für diese teilweise durchaus positiven Entwicklungen verantwortlich? Ganz sicher nicht allein zwei Menschen aus Braunschweig, die es nie und nimmer schaffen könnten, das aufzufangen, was durchaus so einige andere Menschen verstreut in der Republik am laufenden Band leisten. Fast nichts haben wir mit den Teilnehmerzahlen auf Bundestreffen zu tun. Die erfolgreichsten Bundestreffen der 90er wurden durchgehend von engagierten Menschen vor Ort organisiert, was wieder einmal zeigt, daß es funktionierende dezentrale Strukturen gibt. Die beiden Braunschweiger "Beutner und Scheer" haben sich in den letzten sechs Jahren erfolgreich wegen Arbeitsüberlastung vor der Ausrichtung eines BuTres gedrückt.
Die Kritik, daß Totalverweigerer mitunter ohne die notwendige Solidarität ihre Geschichte durchleben müssen, können einige Menschen sicherlich formulieren, aus einem Zusammenhang, wo gerade diese Solidarität zwar nahe liegt, aber fast immer zu kurz kommt, finde ich sie unerträglich. Die Betreuungsarbeit ist auch weniger das Problem der aktiven TKDV-Gruppen, die eventuell in Einzelfällen noch besser funktionieren könnten, aber im großen und ganzen durchaus effektive Arbeit vollbringen. Das Problem liegt vielmehr dort, wo "vollmundige Presseerklärungen" verfaßt werden, die Soli-Arbeit und das konkrete politische Handeln aber zu kurz kommt. Und hier sind die Gruppen betroffen, die sich Antimilitarismus auf die Fahnen schreiben, aber mitunter vergessen, daß neben politischer Ideologie die Betreuung von diesem System betroffenen Totalverweigerern auch ein Maßstab für die Glaubwürdigkeit der politischen Inhalte ist.
Zusammengefaßt: Die Kritik, die der Artikel übt, ist in Teilen berechtigt, aber an die falsche Adresse gerichtet.
Detlev Beutner
[stark gekürzt, SC]
Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 3/93 entnommen.