Horrorvideos von Laiendarstellern in Oliv

Soldaten kreuzigen und vergewaltigen vor der Kamera. Ein Einzelfall?

Soldaten sind Mörder? Na ja, im Moment eher nicht, aber sie wären gern.

"Das Ansehen der Bundeswehr hat sich auf hohem Niveau weiter verbessert", prahlt "Bundeswehr aktuell" am Montag, 7. Juli, in schlechtem Deutsch. Am Abend desselben Tages strahlt Sat 1 ein 45 Minuten langes Horror-Video aus, das nicht unbedingt zum besseren Ansehen der Bundeswehr beiträgt. In dem Streifen kreuzigen, vergewaltigen, erschießen und verbrennen unsere Oliven, was das Zeug hält. Einem "Toten" werden die Goldzähne herausgebrochen, ein als Frau verkleideter Soldat wird von seinen Kameraden nach der Reihe vergewaltigt, die vor dem Zelt Schlange stehen.

Sieben Bundeswehrsoldaten aus Sachsen, die in einer Ausbildungs-Einheit für den Bosnien-Einsatz Dienst taten, drehten in den Ausbildungspausen im unterfränkischen Hammelburg das inkriminierte Video, das man anschließend "amüsierten" Kameraden und Vorgesetzten vorführte. Kein Mensch hat sich bei der Bundeswehr darüber aufgeregt, und es dauerte ein volles Jahr, bis die Existenz des Streifens überhaupt bekannt wurde. Jetzt ist die Wehrbeauftragte mit der Sache beschäftigt, und die wird noch einmal ein halbes Jahr brauchen, um einen entsprechenden Bericht fertigzustellen.

Erst vermutete das Verteidigungsministerium, die Medien hätten das Filmchen bestellt, und als sich dann dafür keine Belege fanden, flüchtete sich Volker Rühe in bewährter Manier in Einzel-Heiten: Es handele sich um einen "absolut isolierten Einzelfall einer Handvoll geistig fehlgeleiteter Einzelgänger". Einen politischen Hintergrund gebe es (natürlich) nicht.

Sechs Wochen lang hatten die Soldaten Gegner gemimt, um ihre Kameraden möglichst realitätsnah auf den Bosnien-Einsatz vorzubereiten. Die Rolle muß ihnen gelegen haben. Oder, wie der Sprecher des "Darmstädter Signals", einer Vereinigung kritischer Soldaten, es ausdrückte: "Wenn man den Leuten erklärt: Nun laßt mal die Sau raus, dann darf man sich nicht wundern, wenn die Sau im Kopf weiterläuft."

Die Bundeswehr hat nach Bekanntwerden der Affäre zwar nicht Strafanzeige gegen sich selbst, aber immerhin gegen die beteiligten Soldaten gestellt - wegen Gewaltverherrlichung, Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole und Unterschlagung dienstlich gelieferter Munition.

Indes: Intern bestrafen kann der Bund die Soldaten kaum noch. Sechs der Soldaten einschließlich des rädels- und regieführenden Unteroffiziers sind nicht mehr in Diensten des Vaterlandes, der siebte, ein Zeitsoldat, wurde fristlos gefeuert. Eine Degradierung nützt den aus der Bundeswehr schon vorher entlassenen Soldaten gar noch: Sie werden in Zukunft nicht mehr zu den lästigen Wehrübungen eingezogen.

Ansonsten will Volker Rühe, um derart unangenehme Vorgänge in Zukunft zu vermeiden, kriminelle bzw. rechtsradikale Soldaten schon im Vorfeld ausmusterm - was allerdings einen deutlichen Verstoß gegen den Datenschutz darstellen würden. Im übrigen könnt er damit schlafende Hunde wecken. Ein Zitat aus dem Netz: "Da wäre es doch wirklich zu überlegen, ob man nicht mit weniger Gefaengnis wegkommt, wenn man statt Fahnen-/Dienstflucht lieber eine "kleine" auslaenderfeindliche Straftat begeht. Vielleicht will der nichtdeutsche Mitbürger von nebenan ja sowieso ein neues Haus bauen und waere fuer einen "heissen Abriss" dankbar..."

Zudem will das Verteidigungsministerium die Ausbildung für die Unterstützungstruppen für die deutschen Bosnien-Soldaten straffen. Leerlauf, der den Soldaten Gelegenheit gibt, in der Pause Horrorvideos zu drehen, dürfe es in Zukunft nicht mehr geben. Eigentlich sollen die Soldaten in Hammelburg in den Umgang mit der bosnischen Bevölkerung, mit Minen und Medien lernen, außerdem Rechtsgrundlagen, Konvoischutz und medizinische Hilfe. Bis Juni 1998 soll 26000 Freiwilligen beigebracht werden, sich "fair, friendly and firm" zu verhalten, Neutralität zu wahren und nicht immer gleich loszuballern. Mit fragwürdigen Erfolg, offensichtlich.Ist auch schwierig, wenn man dort unter anderem Reserveoffiziere hat, die Sprüche wie "Gefangene werden nicht gemacht" kloppen, und die dann anschließend tatsächlich zum internationalen Stab zur Überwachung des Friedesnabkommens von Dayton und Bosnien versetzt werden.

Ohnehin ist dieser Leitsatz für Auslandseinsätze meist tauben Ohren gepredigt: Zum Beispiel haben belgische, italienische und kanadische Soldaten in Somalia Wehrlose gefoltert. Besonders übel benahmen sich die Kanadier: Sie quälten einheimische Zivilisten und ließen sich auch noch dabei fotografieren. Sie wurden von ihren Vorgesetzten so lange gedeckt, bis sich die kanadische Regierung dazu entschloß, das ganze Regiment aufzulösen. Festgenommene Somalis wurden von italienischen Soldaten so geschlagen, daß ihnen Arme und Rippen brachen. Eine Gruppe italienischer Soldaten fesselte eine somalische Frau an einen Panzer und vergewaltigte sie mit einer mit Marmelade eingeschmierten Leuchtrakete. Gefangene wurden mit Stromstößen an den Hoden und brennenden Zigaretten gefoltert. Belgische Soldaten hatten einen somalischen Jugendlichen an Armen und Beinen gehalten und ihn über einem Lagerfeuer geröstet.

Bei Auslandseinsätzen trauen sich deutsche Soldaten sowas wohl (noch) nicht recht. Dafür packten für den Bosnien-Einsatz vorgesehene Soldaten jüngst in der Detmolder Innenstadt die Knüppel aus, terrorisierten und prügelten Ausländer. Klar: Ein absoluter Einzelfall. Dumm nur, daß kurz darauf zwei Grundwehrdienstleistende in Dresden ein Wohnheim italienischer Bauarbeiter anzündeten. Motiv: "Ausländerhaß". Die beiden wurden aus der Bundeswehr entlassen und sitzen in U-Haft. Wenig später hat ein Kapitänleutnant der Reserve Ausländer als minderwertig bezeichnet und erklärt: "Alles, was nicht arisch ist und in Deutschland lebt, gehört entweder erschossen oder in die Gaskammer." Der Pressesprecher der Grünen im Magdeburger Landtag, Michael Rost, bracht die Dinge auf den Punkt: Die Bundeswehr sei offenbar ein "Haufen, der braungesinnte Scheißhausfliegen magisch anzieht" (übrigens wurde der Mann für seine ehrlichen Äußerungen von seiner Fraktion zwangsbeurlaubt).

Die Armee verhindert solche Taten nicht - sie sind ein mehr oder weniger zwingendes Resultat der Ausbildung, die ein zackiges, brutales Verhalten fördert. Schwächen dürfen sich die Soldaten nicht erlauben, und schon gar nicht erklären, das gehe ihnen zu weit - sie würden wohl später als Memmen behandelt.

Überhaupt ist das Training "realistischer" Bürgerkriegssituationen äußerst umstritten. Perelak Gyllestad, Abteilungsleister im Zentrum für internationale Operationen der schwedischen Streitkäfte: "So etwas erzeugt eine völlig falsche Vorstellung von den Situationen, mit der der Soldat konfrontiert wird. Vor ihrem Einsatz haben die Soldaten noch das Gefühl, daß Vergewaltigungen und Hinrichtungen nicht in Ordnung sind. Wenn man den Umgang mit solchen Sachen trainiert, akzeptiert man sie."

Johannes H. Guthschink

 

Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 3/97 entnommen.