Dicke Backen aus Gewissensgründen

Zehn Jahre "Zivildienst Musikprojekt": Mit Schwielen an den Händen in die Seiten greifen

Seit zehn Jahren gibt es in München Leute, die in die Tasten hauen, statt Windeln zu wechseln und das Cello streichen, statt Besen zu schwingen: Das "Zivildienst Musikprojekt" feiert dieser Tage sein erstes rundes Jubiläum.

Wenn ein alter Mann beim Seniorennachmittag im Pfarrsaal der Kreuzkirche plötzlich lächelt, weil das Quartett "Schöner Gigolo, armer Gigolo" spielt, freut sich auch Nikolas Kolb: " Das ist das besondere an diesen Konzerten, Die Menschen sind unheimlich dankbar für die Musik." Je älter die Zuhörer, desto sparsamen sind die Reaktionen des Publikums – da ersetzt dann schon mal ein wippenden Fuß die stehenden Ovationen. Nikolas hat das zu interpretieren gelernt. Er spielt Oboe und tritt seit knapp zwei Monaten in Altersheimen und Krankenhäusern auf. Nur hier in München gibt es seit zehn Jahren ein "Zivildienst Musikprojekt" – die einzige kriegsdienstverweigernde Alternative zum Heeresmusikkorps der Bundeswehr.

Dabei war am Anfang noch nicht einmal sicher, daß das Zivi-Orchester überlebt. Die erste Generation der zivilistischen Musikertruppe war bei der Inneren Mission unter Vertrag, für die sie Wohnungen entrümpelte und Hausmeisterjobs verrichtete. Und natürlich ist es ein Problem, wenn man sich vormittags Schwielen an die Hände gearbeitet hat und mit denselben Händen dann nachmittags eine Geige bedienen soll. Und dennoch hatten die Musikus-Zivis den Ruf, in einer Nobel-Dienststelle zu arbeiten – ein Vorurteil, das mühsam ausgeräumt werden mußte.

Auch heute noch dürfen die sieben Musiker mit dem Zivildienstausweis erst mal in der Pflege ordentlich keulen, bevor sie akustisch auf die Menschheit losgelassen werden. Sie füttern alte Menschen, waschen sie und ziehen sie an. Vormittags. Nachmittags üben sie – von der Klassik bis zum Volkslied. Die jungen Männer erarbeiten sich im Laufe der 13 Monate Zivildienst ein Repertoire von sechs bis sieben verschiedenen Programmen. Zum Vergleich: Beim Heeresmusikkorps der Bundeswehr dürften die Mitspieler wohl kaum morgens durchs Gelände robben.

Die Stadt bezuschußt das Projekt mit rund 45 000 Mark im Jahr. Aber sie bekommt auch was für ihr Geld. Die Jungs haben im letzten Jahr bei mehr als hundert Veranstaltungen vor mehr als 5000 Menschen gespielt.

Wer mit in Zivi-Musikkorps des Bundesamtes will, muß mehr mitbringen als nur musikalisches Talent. Er muß auch mit Menschen umgehen können, Teamgeist aufbringen – und Belastbarkeit. Denn jeden zweiten Nachmittag geben sie ein Konzert, den Rest der Zeit verbringen sie mit üben. Aber immerhin kommen sie damit ein Stückchen weiter auf dem Weg zum Profimusiker ...

Jan Kiemein

 

Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 4/97 entnommen.