Soviel Einzelfall war nie

Rechtsradikale Hobbyfilmer und braune Fluten überrollen die Bundeswehr

Hitlergruß, Fascho-Musik, Scheinhinrichtung eines Linken: Wieder mal hat sich die Bundeswehr als Filmregisseurin versucht. In einem Video brüllen Soldaten Nazi-Parolen, ausländerfeindliche und antisemitische Sprüche. Wieder gehen die Aufnahmen auf Soldaten des Gebirgsjägerbataillons 571 im sächsischen Schneeberg zurück. Zwei Uniformierte spielen, wie ein Punk von Nazis zusammengeschlagen wird. Auch die Verbrennung von Juden in deutschen KZs wird nachgestellt. Außerdem sind antiamerikanische Parolen und Musik rechtsradikaler Rockbands zu hören. Und endlich scheint dieses Land ein bißchen wacher zu werden, wenn es um das Thema "brauner Pöbel in oliver Uniform" geht.

Die Szenen des neuen Videos seien eindeutig rechtsradikal und hätten eine gegenüber dem ersten Hammelburger Video (tilt 3/97) "neue Qualität", wie selbst der Verteidigungsminister zugibt. Generalinspekteur Bagger sprach von einer "Schande für Bundeswehr". Einem Oberleutnant wurde noch am Tage des Bekanntwerdens die Dienstausübung verboten – er mußte seine Uniform ausziehen. Gegen die oliven Video-Produzenten laufen außerdem Strafverfahren wegen Volksverhetzung, Gewaltdarstellung, Mißhandlung Untergebener und der Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen. Die Staatsanwaltschaft Zwickau hat die Wohnungen von Soldaten in mehreren Bundesländern durchsuchen lassen und Videos beschlagnahmt.

Die Aufzeichnung, die zwischen 1993 und 1995 entstanden, haben eine Länge von mehr als acht Stunden und wurden einem Fernsehsender zum Kauf angeboten. Sat 1 zeigte einige Ausschnitte: Das neue Video ist – so das überhaupt möglich ist – noch widerlicher, geschmackloser und dümmer als das erste. Beide Videos sind im selben Bataillon gedreht worden, nur daß jetzt auch noch zwei Offiziere dabei waren.

Selbst höherrangige Offiziere haben von den Videos zumindest gewußt. Volker Rühe muß sich fragen lassen, wie eine ganze Kompanie sich als hobbyfilmende, neonazistische Chaostruppe betätigen kann. Der Militärminister aber setzt weiterhin auf seine "Einzelfallthese", spricht allenfalls von "zeitweisen Mängeln in der Dienstaufsicht", wenn etwa ein Schneeberger Zugführer seine Rekruten mit "guten Morgen, Kameraden der Ostfront" begrüßt – und verweigert das Ergründen der Ursachen. "Ich brauche keine abstrakten Studien", bemerkte Rühe, als man ihm Belege dafür in die Hand drückte, daß die Bundeswehroffiziere von Grund auf rechts der Mitte stehen. Statt dessen möchte Rühe mehr Informationen über Rechtsradikale, bevor sie zur Bundeswehr kommen: Er will für die Kreiswehrersatzämter Auskunft aus den Zentralregistern über Vorstrafen von angehenden Soldaten. Das wiederum ist rechtlich fragwürdig und wird vom Justizministerium abgelehnt: Schließlich gehe die (rechtsradikale) Motivation für eine Tat überhaupt nicht aus dem Register vor.

Immer mehr Rechts-Vorfälle gemeldet

Bei der Bundeswehr ist in diesem Jahr eine wesentlich höhere Zahl rechtsradikaler Vorfälle gemeldet worden als im letzten Jahr. Die Zahl steige drastisch, gab Generalinspekteur Bagger zu. In 80 Fällen wird gegen 110 Soldaten ermittelt. Im letzten Jahr waren es 46 Fälle mit 59 Beteiligten. Ob das allerdings eine reale Steigerung ist, ist fraglich: Vorgesetzte neigen dazu, Vorfälle zu melden, wenn sie ohnehin für das Thema sensibilisiert sind, also gerade wieder einmal ein rechtsradikaler Vorgang bekannt geworden ist. Immerhin soll jetzt der Militärische Abschirmdienst (MAD) die Rechts-Tendenzen in der Bundeswehr durchleuchten: Er ermittelt bereits in 760 Verdachtsfällen und beobachtet dazu noch 138 Rechtsradikale; gegen die man keine Handhabe hat, weil sie dummerweise nicht rechtswidrig in Erscheinung treten. Immerhin verwehrt man ihnen den Zugang zu Waffen. und Munition.

Und die Skandale gehen weiter. Erst jüngst wurde wieder mal ein Fall bekannt, wo vier Wehrdienstleistende in einer Kaserne "Sieg Heil" und "Heil Hitler" gebrüllt haben. Außerdem wurden auch rechtsradikale Lieder gegröhlt – Kassettenaufnahmen wurden von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Einer der Männer ist laut Verteidigungsministerium ein "rechtsradikaler Krimineller". Bei einem anderen Soldaten in Sachsen-Anhalt wurden 220 CDs mit rechtsradikalem Inhalt beschlagnahmt. Nazi-Musik ist in den Stuben der Kyffhäuser-Kaserne im thüringischen Bad Frankenhausen ständig zu hören, berichtet ein Skinhead-Soldat laut "Berliner Zeitung". Am Rande der Kommandeurstagung in Berlin sprach Generalinspekteur Bagger das offen aus, was ohnehin kaum noch zu verbergen ist: Das Problem gebe es besonders im Osten. Aber auch aus dem Westen mehren sich die Berichte: Von der Reichskriegsflagge im Zimmer eines Unteroffiziers in schwäbischen Calw etwa oder von "Vergasen"-Sprüchen vor einem Truppenbesuch von Ignatz Bubis im Saarland, vom Verbrennen einer "Negerpuppe" in Baden-Württemberg.

Selbst der Bundesstag findet so was irgendwie nicht gut. Aber, beeilen sich alle – von Helmut Kohl bis hin zur SPD – zu behaupten, seien das doch Einzelfälle, die nicht bestimmend seien für den Alltag bei der Bundeswehr. Alles Einzelfälle. Verteidigungsminister Rühe findet: "Die Bundeswehr ist eine Armee in der Demokratie." Deren Uniformen dürften nicht durch einzelne Strolche beschmutzt werden. Eine allgemeine Tendenz zum Rechtsextremismus sieht Rühe immer noch nicht. Er glaubt, ,,Hunderttausende anständiger Soldaten" würden durch ein paar "rechtsradikale Schmutzfinken" in Verruf gebracht.

Bagger versucht sich damit herauszureden, die Bundeswehr erzeuge keinen Rechtsradikalismus, sondern es kämen nur Rechtsradikale zur Bundeswehr. Somit sei der Rechtsradikalismus kein Problem der Armee, sondern ein Problem der Gesellschaft.

Fast. Es gibt böse Menschen wie Michael Wolffsohn, Historiker an der Münchener Bundeswehrhochschule, die glauben, daß "die Braunen den Marsch durch die Institutionen der Bundeswehr versuchen" könnten. Und der Verfassungsschutz beobachtet, daß die Neo-Nazi-Szene ihre Sympatisanten über das Internet und die eigenen Magazine dazu aufruft, zur Bundeswehr zu gehen.

Offiziersanwärter denken national-konservativ

Nach einer bundeswehrinternen Studie, deren Ergebnissen derselben recht peinlich ist, hängen 21 Prozent der Studenten an Bundeswehruniversitäten (also der Offiziersanwärter) national-konservativem Gedankengut an – ein Wert weit über dem Durchschnitt. Demokratische Werte wie das Demonstrationsrecht finden weit weniger Akzeptanz als an zivilen Universitäten. 55 Prozent der Bundeswehrstudenten stufen sich rechts von der Mitte ein.

Aber keine Angst. Erstens hat die Bundeswehr eine Arbeitsgruppe in Sachen Rechtsradikalismus gegründet. Chef ist General Hans-Peter von Kirchbach, der schon erfolgreich gegen das Oder-Hochwasser kämpfte und jetzt wahrscheinlich mit Sandsäcken gegen die braune Flut angehen wird. Und außerdem hat Verteidigungsminister Rühe noch ein paar außerordentlich innovative Vorschläge auf Lager, um den Rechten beim Bund den Garaus zu machen: Er will die Soldaten stärker in Freizeit beaufsichtigen lassen und hat im Kampf gegen den Rechtsradikalismus noch ein gewichtiges Mittel parat: Spindkontrollen.

Jan Kiemein

 

Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 4/94 entnommen.