Der Jäger lebt. Das Bundeskabinett hat befunden: Wir brauchen unbedingt 180 neue Kampfflugzeuge und möchten dafür gern 23 Milliarden Mark bis zum Jahr 2014 ausgeben. Die Flieger sollen 125,4 Millionen Mark pro Stück kosten - ohne Bewaffnung. Noch im November soll der Bundestag der Fighter-Beschaffung zustimmen; schon haben Haushalts- und Verteidigungsausschuß ja und amen gesagt - teils sogar mit Stimmen der SPD. Schon für 1998 stehen 847 Millionen Mark für den Fighter im Bundeswehretat.
Noch nie wurde in der Bundesrepublik für ein Rüstungsprojekt derart viel Geld ausgegeben. Der Bundesrechnungshof erwartet gar tatsächliche Ausgaben für den Flieger von 30 bis 33 Milliarden Mark. Die Prüfer hatten auch anderweitig die Finger in die Wunde der Rüstungsproduzenten gelegt. Der Flieger sei nicht produktionsreif, die Technik (wie zum Beispiel das Radarsystem) sei schon bei Auslieferung schon wieder veraltet. Zudem sei er 10 Prozent schwerer als ursprünglich angepeilt damit werde seine vielgepriesene Wendigkeit in Frage gestellt. Und schließlich seien die Instandhaltungskosten der Maschine völlig ungeklärt. Auch das Internationale Institut für Strategische Studien in London kritisierte: Der Eurofighter sei ein Produkt des kalten Krieges. Die veränderten Rollen der europäischen Streitkräfte verlangten abgespeckte und mobile Projekte.
Die DASA, bundesweit größter Profiteur der überflüssigen Kampfmaschinen, weist natürlich die Rechnungshof-Vorwürfe weit von sich. Auch Herr Rühe meint, der Bundesrechnungshof habe doch überhaupt nicht das Personal, um diese Frage beurteilen zu können.
Das erste Geschwader der Flieger soll 2005 einsatzbereit sein. Insgesamt sollen von dem Kampfflugzeug 620 Stück gebaut werden. Großbritannien will 232 haben, Italien 120 und Spanien 88. Sieben Prototypen sind momentan im Einsatz. 37,5 Prozent der Arbeiten werden in Großbritannien, 30 in Deutschland ausgeführt; in Italien 19,5 und in Spanien 13 Prozent.
Der Bundestag muß den Beschluß noch "in geeigneter Weise" zur Kenntnis nehmen, dann könnte der seit neun Jahren schwelende Streit um das Kampfgeflügel zu Ende gehen. Die Zustimmung im Bundestag will die Opposition indes verweigern. Nur wegen der angeblichen 18 000 Arbeitsplätze müsse man den Bomber nicht bauen - wer zum Beispiel statt dessen ein neues Großflugzeug zusammenzimmere, schaffe dreimal mehr Arbeitsplätze, meinte Rudolf Scharping von der SPD. Die Milliardenausgaben würden dazu führen, daß die Bundeswehr in anderen Bereichen handlungsunfähig werde.
Allerdings wird wohl eine Minderheit von SPD-Genossen dem Rüstungsprojekt zustimmen. Abgeordnete aus industriell betroffenen Wahlkreisen könnten nicht gegen das Projekt stimmen, hieß es aus der SPD. Winni Nachtwei und Angelika Beer von den Grünen bezeichneten den Kabinettsbeschluß zur Anschaffung des Eurofighters als eine der katastrophalsten und kostspieligsten Fehlentscheidungen der Regierung Kohl. Auch einige FDP-Mitglieder scheinen dem Jäger zumindest skeptisch gegenüberzustehen.
In der Tat ist man bis heute eine sicherheitspolitische Begründung - sofern es eine solche überhaupt gibt - für den Fighter schuldig geblieben. Eine Debatte darüber hat nicht stattgefunden. Die Hardthöhe hat sich in das "Argument" geflüchtet: Die "Phantoms" sind alt, es muß halt was neues her. Selbst wenn man den Sinn von Militär und Luftwaffe anerkennen sollte - im internationalen Verbund der Streitkräfte muß nicht jede Armee alles können. In einem Europa, das bald eine gemeinsame Währung und viele gemeinsame Institutionen haben wird, sind zehn oder 15 Allround-Armeen überflüssiger Luxus. Fazit: Ein neuer Jäger wird gebaut, weil es unausgelastete Fabriken und die CSU gibt.
Volker Rühe hält die Entscheidung zugunsten des Fighters nur für konsequent angesichts des von ihm konstatierten Stimmungsumschwung zugunsten der Bundeswehr und ihren neuen Aufgaben im Ausland: "Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz", meint Rühe. "Also muß sie auch das beste kriegen, das es gibt." Noch 1992 hatte Rühe konstatiert: "Der Jäger ist tot." Eigentlich hat sich ja die Bedrohungssituation Deutschlands seit 1992 nicht massiv geändert, auch der Preis für den Fighter ist gegenüber dem des Jägers nicht deutlich gefallen. Wer also 1992 gegen den Jäger war, kann eigentlich heute nicht dafür sein. Andererseits sind fünf Jahre ständigen Werbens und Wirkens durch die Rüstungslobby ins Land gegangen. Rühe hatte die Drohung "Dann bauen wir den Europfighter eben nicht" als Bluff gegenüber der Industrie eingesetzt, um Preissenkungen zu erzwingen, und um seine Kabinettskollegen, allen voran Waigel, von Einschnitten in den Wehretat abzuhalten. Der grünen Bundestagsabgeordnete Winni Nachtwei, der für seine Partei im Verteidigungsausschuß des Bundestages sitzt, nennt Rühes "Umfaller" beim Namen: "Rühe hat die politische Verantwortung für dieses Projekt zu tragen, da helfen keine Bauernopfer mehr auf unterer Ebene." Wer sich so von der Rüstungslobby über den Tisch ziehen lasse, "muß selbst die Konsequenzen ziehen."
Bayerns Ministerpräsident Stoiber lobte, mit der Entscheidung würden 18 000 Arbeitsplätze gesichert - eine Zahl, die bis zum heutigen Tag unbelegt ist. Im Gegenteil: Nach Brechnungen des Bremer Wissenschaftlers Jörg Huffschmid werden lediglich durchschnittlich etwa 8600 Personen 14 Jahre lang damit beschäftigt sein, den Eurofighter zusammenzubasteln.
Der Eurofighter wird als Industrie-, Standort- und Arbeitsmarktpolitik verstanden - und zwar von Arbeitsgebern, Gewerkschaften und Politik. Etwas, was der Abrüstungs-Experte Jürgen Grässlin als "kapitalistische Planwirtschaft" bezeichnet. So räumte der CDU-Abgeordnete im Verteidigungsausschuß, Thomas Kossendy, in einem Interview ein: "Die DASA hat sich mit ihrer Größe ein gewisses Erpressungspotential zugelegt." Und Jürgen Schrempp, Chef des Daimler-Benz-Konzerns, scheut sich auch nicht, unverhohlen zu drohen: "Wenn so ein Produktionsauftrag wegfällt, können wir nicht innerhalb von ein bis zwei Jahren auf eine andere Fertigung umstellen." Daimler käme dann aus heutiger Sicht an Werksschließungen nicht vorbei - und dann seien mehrere tausend Arbeitsplätze in Gefahr.
Arbeitsplätze, deren Erhalt so teuer ist, daß mit den Kosten eines Platzes bei Eurofighter-Fertigung drei Arbeitsplätze im sozialen Bereich geschaffen werden könnten. Ulrich Arnold, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes in Freiburg, rechnet vor, daß ein Arbeitsplatz im sozialen Bereich mit etwa 85 000 Mark jährlich zu veranschlagen ist. Schon ein Arbeitsplatz in der "normalen" Rüstungsindustrie kostet das Doppelte (rund 160 000 Mark), ein Job in der Eurofighter-Fertigung mit 250 000 gar das Dreifache!
Wenn es also nur darum geht, Arbeitsplätze zu sichern, dann könnte man auch, wie Paul Russmann von der Kampagne "Ohne Rüstung leben" vorschlägt, für 23 Milliarden Mark eine riesige Pyramide für den scheidenden Kanzler in Auftrag geben. Das bringt viele Arbeitsplätze in der Bauindustrie und vielleicht ägyptische Touristen.
Matthias Kittmann/Jan Kiemein
Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 4/94 entnommen.