Zivis in Zeiten der Zerstreuung: Ihr oberster Boß persönlich hat die Zivildienstleistenden zu mehr Kritik und Offenheit aufgefordert. Bei einem Dienststellen-Besuch in Frankfurt/Oder bescheinigte der Bundesbeauftragte für den Zivildienst, Dieter Hackler, den ZDL eine zunehmende Passivität und mangelndes Engagement für ihre eigenen Interessen.
Das Schweigen in der Gesprächsrunde ist eisern. ZDL-Bundesbeauftragter Dieter Hackler hat alle 20 Zivis des Frankfurter Klinikums zusammentrommeln lassen. "Nun erzählen Sie mal, was Ihnen auf dem Herzen liegt", sagt er und blickt hoffnungsvoll in die Runde. Keine Antwort. "Wer von Ihnen war auf einem Einführungslehrgang?" Schweigen. "Sind Sie etwa wunschlos glücklich?" Leises Hüsteln. "Was sollen wir denn am Zivildienst besser machen?" Schulterzucken. Ein bißchen Geplänkel über Urlaubsanspruch und Schichtpläne, Händeschütteln, Grinsen. Das war's. Daß fast alle auf dem Lehrgang waren, weiß Hackler; daß nicht alle wunschlos glücklich sind, kann er sich denken. Allein: Die Zivis halten's Maul. "Eine typische Begegnung", sagt Hackler später. "In Ost und West wächst die Gleichgültigkeit erschreckend."
Hacklers Vorgänger, der heutige CDU-Generalsekretär Peter Hintze, war noch lautstarke Buhrufe und freche Spruchbänder gewohnt, als er die Zivi-Stellen abklapperte. Schließlich vertritt der Bundesbeauftragte stets die Wehrpflicht-Positionen der Bundesregierung und die sind alles andere als Verweigerer-freundlich. Heute rufen selbst gespielte Provokationen des Zivi-Beauftragten allenfalls müdes Gähnen hervor, aber kaum eine Diskussion um Sinn und Unsinn des Dienstes. Ein "völlig neues Phänomen" sieht Hackler, "das ist eine ganz andere Generation." Zivis lassen sich offenbar nicht nur viel gefallen. Sie lassen sich derart viel gefallen, daß die Zivi-Strategen im BAZ sich Sorge um die Arbeitsproduktivität machen.
Denn daß dem CDU-Mann Hackler wirklich aufständische Zivis lieber wären, ist kaum anzunehmen auch wenn der stets onkelhaft-freundlich und auftretende Ex-Pfarrer manchmal so wirkt, als nähme er die Zivis wirklich ernst. Vielmehr sorgt er sich vor allem um die Folgen der zunehmenden Kritiklosigkeit: "Wir bekommen immer mehr junge Männer mit psychischen Problemen ", klagte er in Frankfurt/Oder. Denen fehle die "ausgeprägte Verbindlichkeit". Die Dienststellen merken's an zunehmenden Krankmeldungen. Einen Anstieg des Zivi-Krankenstandes von acht auf 30 Prozent in zwei Jahren, den Klinikum-Personalchef Heinz Altwig festgestellt hat, bestätigte Hackler als bundesweite Tendenz. "Das läßt auf Sozialisationsprobleme schließen", grübelt er und erzählt, daß die beim BAZ eingehenden Briefe in ZDL-Angelegenheiten immer häufiger von Freundinnen und Müttern kommen. "Das sind Hilferufe."
Bei allem pastoralen Mitgefühl vergißt bleibt Hackler indes der pflichtbewußte Bundesbeauftragte, der auf konkrete Abhilfe sinnt. Gerade in größeren Einrichtungen könnten die Zivis oft in eine gewissen Anonymität abtauchen. "Da geht dann häufig die Motivation für den Dienst verloren." Man werde im BAZ daher verstärkt darauf achten, daß die Einsatzbereiche übersichtlich genug sind, um bei den Zivis das Gefühl zu erzeugen, verantwortlich zu sein. Hackler: "Sonst steigt die Zahl der Vorbeimogler und der Abmeldungen mit dem Krankenschein."
Bei der Suche nach "verantwortungsvollen" und "besseren" Zivi-Jobs hat das BAZ bei den neuen Einsatzfeldern im Osten nach eigenem Bekunden gute Erfahrungen gemacht. Fündig wurde man vor allem in Umweltschutz und Landschaftspflege: Nach der Wiedervereinigung wurden die noch nach DDR-Recht geschaffenen Stellen für "Friedhofs-Zivis" einfach übernommen. Noch heute rackern auf ostelbischen Kirchhöfen ZDL als Hilfsgärtner und stellvertretende Totengräber. Und auch zahlreiche Trupps von Unkraut-Rupfern, Unterholz-Beseitigern und Gerümpel-Entsorgern sind mit Zivildienstleistenden aufgefüllt. "Pflege von Parklandschaften" nennt Dieter Hackler euphemistisch diese Form der Zivi-ABM in den neuen Ländern. Eine weitere ist die sogenannte "Denkmalpflege" eine kulturpolitische Verbrämung der Zivi-Schufterei mit Kelle und Schubkarre am Bau.
Eher ein Reinfall war hingegen der Versuch, Zivis verstärkt in Jugendclubs und Freizeitheimen einzusetzen: Die Landesjugendämter versagten dem häufig ihre Genehmigung sie bestehen auf qualifizierte Betreuung durch Hauptamtliche. Und wenn dann doch mal eine Stelle genehmigt wurde, fehlte es an Bewerbern. Die häufigen Abend- und Wochenendschichten, so zeigte sich, schrecken viele Kriegsdienstverweigerer vor diesen Jobs ab.
Die neuen Einsatzfelder entstanden aber auch aus der Not, im Osten genügend Zivi-Plätze zu schaffen, um alle KDVer auch heimatnah einberufen zu können. Denn noch immer sind die ostdeutschen Sozial-Arbeitgeber weit weniger als ihre West-Kollegen dazu bereit, neue Zivi-Plätze einzurichten. Der finanzielle Köder, den das BAZ hierfür jahrelang ausgelegt hat (höhere Zuschüsse für Ost-Stellen) läuft Ende des Jahres aus. Und so zeigt sich Hackler froh, daß sich die Zahlen sich wenigstens allmählich einander angleichen.
In Sachen "Arbeitsmarktneutralität" ist Hackler indes weit weniger ehrlich als sein Amtsvorgänger Hintze. Während der wenigstens hinter vorgehaltener Hand zugab, daß durch den Zivildienst der eine oder andere Hauptamtlichen-Job wegfällt, stellt Hackler bei diesem Thema sogar sein übliches Dauerlächeln ein. "Arbeitsmarkt und Zivildienst darf man auf keinen Fall gegeneinander ausspielen", floskelt er und verlangt, der Zivildienst müsse notfalls zurückstecken. "Wenn der Arbeitsmarkt tatsächlich belastet, müßten wir eben andere Zivi-Tätigkeiten finden", sagt er. Und verweist hurtig darauf, daß durch den Zivildienst ja andererseits "auch andere Arbeitsplätze entstanden sind". Etwa seiner? Da grinst er wieder. Nein, gemeint sind Verwaltungs-Jobs bei den Dienststellen, schiebt er nach und wechselt das Thema. Da hat er wohl in der falsche Schublade gekramt denn dieses Argument pflegt der Zivi-Boß schon mal Gegnern der Wehrpflicht zuzurufen. Und voll und ganz für die Wehrpflicht ist Pfarrer Hackler allemal. Grund genug, ihn bald auf die Kanzel der Kirche zurückzuwünschen. Anders als beim Zivildienst können die "Vorbeimogler" aus diesem Verein wenigstens ungestraft austreten.
Stefan Münzberg
Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 4/97 entnommen.