Es war einmal ein König, der war lange Jahre mit dem König des Nachbarlandes verfeindet. Der Zwist hatte Generationen von Waffenschmieden Brot und Arbeit gegeben, als plötzlich der König des Nachbarlandes starb. Seine Söhne mochten und konnten die Feindschaft nicht aufrechterhalten, denn in ihrem Land herrschte bittere Not. Da dachte sich der alte König, der immer noch auf dem Thron saß und dessen Reich viel reicher war: Ich brauche jetzt die ganzen Schwerter und Rüstungen, Schilde und Lanzen nicht mehr. Wenn ich aber den Schmieden sage: "Ich bedarf Eurer Hilfe fürderhin nicht ", werden viele Menschen in meinem Königreich darben. Drum lasset uns weiter Rüstungen und Schilde schmieden, ob wir sie nun brauchen oder nicht. Meine Untertanen werden für alles immerdar klaglos aufkommen, und vielleicht können wir ja auch Waffen in ferne Königreiche schicken. Und so geschah es.
Und wenn sie nicht gestorben sind, stellen die Waffenschmiede des Königs heute noch Rüstungen und Schilde, Schwerter und Lanzen her, die sich in den Rüstkammern des königlichen Hofes häufen, und die Untertanen werden all den unnützen Tand bezahlen, und dieser Unfug wird andauern bis an der Welt Ende. tilt fragt: Tut das not? Brauchen wir tatsächlich ein milliardenschweres Kampfflugzeug, das gegen niemanden kämpfen kann, weil wir keine Feinde mehr haben? Brauchen wir Minen, die Tausenden von Menschen die Arme und Beine abreißen? Müssen wir tatsächlich Kriege in fernen Ländern fördern, damit unsere Waffenschmiede Brot und Arbeit haben? tilt beantwortet Fragen und erzählt keine Märchen.
Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes hatten die bundesdeutschen Rüstungsschmieden ein Problem. Ganz anders als etwa die Autoindustrie gewannen die Waffenhersteller nach 1989 nicht etwa neue Absatzmärkte hinzu, sondern mußten extreme Nachfrageeinbrüche befürchten: wenig Feind, wenig Militär, also auch wenig Aufträge in den Büchern von Dasa, Thyssen, Heckler, Koch und Co. so die Schreckensvision. Es kam längst nicht so schlimm. Die Alternative für die deutsche Rüstungsindustrie: Die Produktion von High-Tech-Gerät für die Bundeswehr und die Verlagerung in den Export.
Trotz der Kürzungen im bundesdeutschen Verteidigungsetat bleiben die Investitionen in neue deutsche Rüstungsprojekte beträchtlich. Bestes Beispiel ist der Eurofighter. Nachdem Bundesverteidigungsminister Volker Rühe noch 1992 vollmundig versprochen hatte, einen Jäger 90 werde es nicht geben, hat man jetzt den Eindruck, der Vogel sei nur deshalb in Eurofighter umgetauft worden, damit Rühe nicht als rückgratloser Depp dastünde.
Und selbst mal ganz abgesehen vom Eurofighter will sich die Bundeswehr nicht lumpen lassen: Allein die anstehenden Luftwaffenprojekte summieren sich auf 80 Milliarden Mark. Zwölf Milliarden Mark sollen die 243 Stück Nato-Hubschrauber NH 90 kosten. Für einen anderen Hubschrauber, den Uhu/Tiger, sollen zwischen fünf und elf Milliarden Mark ausgegeben werden, weitere elf Milliarden für das Transportflugzeug FTA. Außerdem sollen zwei deutsch-französische Spionagesatelliten mit mehreren Milliarden Mark bezuschußt werden.
Neue Fregatten und U-Boote kosten die Marine jeweils mehrere Milliarden Mark, und außerdem soll ein 300 Millionen Mark schwerer "Einsatzversorger" beschafft werden, der als schwimmende Kommandozentrale mit 100 Offizieren bei internationalen Einsätzen dienen soll. Es kann aber auch 1200 Soldaten und schweres Gerät transportieren oder 200 verletzte Soldaten aufnehmen.
Das größte Beschaffungsprojekt des Heeres: Die Panzerhaubitze 2000 mit Kosten von 1,7 Milliarden Mark. 650 Millionen Mark sollen für eine stärkere Panzerung und Nachtsichtgeräte für den Leopard II ausgegeben werden.
Nach Ende der Blockkonfrontation hatten Schlagworte wie Konversion und Friedensdividende die Runde gemacht. Statt dessen wird weitergerüstet wie eh. Und zwar teils mit Steuergeldern, was nichts anderes ist als verdeckte Subvention, teils auf dem Rücken der Dritten Welt.
In der Rüstungsindustrie wird nach wie vor ein Heidengeld verdient. Kein Wunder: Die Aufträge sind meist Monopolisten-Aufträge. Man geht nicht in den Supermarkt und sucht sich das billigste Kampfflugzeug aus, sondern wendet sich an die Industrie und sagt: Wir hätten da gern ein modernes Kampfflugzeug. Was würde das denn kosten? Gewiß: Ein wenig gehandelt wird da schon, aber letztlich liefert dann die Rüstungsindustrie zum doppelten Preis, zuckt mit den Schultern und sagt: Ging halt nicht billiger. Was wunder, daß die Rüstungsindustrie diese einmalige Anbietersituation nicht kaputtmachen lassen möchte, indem sie auf die Produktion sinnvoller, nichttödlicher Waren umsteigt.
Das vergangene Jahr war das Jahr des Waffenhandels: 1996 sind die internationalen Waffenexporte um acht Prozent auf ein Volumen von 64 Milliarden Mark angewachsen. Das stellt das "Internationale Institut für Strategische Studien" (IISS) in London fest. Nach einem seit 1987 anhaltenden Rückgang von Rüstungsexporten ist nun erstmals wieder ein deutlicher Aufwärtstrend zu erkennen. Schon 1996 stiegen die Umsätze beim internationalen Waffenhandel um 13 Prozent. USA, Großbritannien und Frankreich waren 1996 Weltmeister in Sachen Waffenexport.
Deutschland ist auf der Liste vom früheren Platz drei allerdings ein bißchen zurückgefallen und von Rußland überrundet worden. Die deutschen Rüstungsexporte sind um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Die Bundesrepublik exportierte im vergangenen Jahr Waffen im Wert von "nur" 657 Millionen Mark (ein Marktanteil von 1,6 Prozent im Vergleich zu 3,8 Prozent im Vorjahr). 1995 hatte Deutschland noch Waffen im Wert von 1,38 Milliarden Mark ausgeführt. Die rückläufigen Zahlen in Deutschland sind allerdings weniger Ausdruck einer Konversion, sondern haben vielmehr damit zu tun, daß die meisten der verkäuflichen Waren aus NVA-Beständen inzwischen ans Regime gebracht worden sind.
Die USA haben einen Marktanteil von 42,6 Prozent oder 17 Milliarden Dollar, mit weitem Abstand folgen Großbritannien mit 22,1 Prozent (8,8 Milliarden Dollar) und Frankreich mit 14,1 Prozent (5,6 Milliarden Dollar). Die größten Waffen-Importeure sitzen im Nahen Osten und Nordafrika. Mit Einkäufen von 14,4 Milliarden Mark führt Saudi-Arabien die Liste der Empfängerländer an und zwar mit deutlichem Abstand. Es gab mehr als dreimal soviel Geld für Rüstungsimporte aus wie das zweitplazierte Ägypten mit 2,3 Milliarden Dollar. Japan, China, Südkorea, Kuwait und Großbritannien gaben jeweils mehr als eine Milliarde Mark für Rüstungsimporte aus, dicht gefolgt von Israel und der Türkei.
Sinnlose Aufrüstung hierzulande und skrupellose Exporte ins Ausland: Das eine ist unsinnig, das zweite tödlich für viele, viele Menschen in der Dritten Welt, dort, wo es uns nichts angeht. Für beides möchten wir lieber doch keine Steuergelder ausgegeben sehen. Und letztlich wäre alles, selbst ein paar Arbeitslose mehr, wünschenswerter als das. Tod. Und das ist Rüstung wirklich. Tod im Vorstadium.
Jan Kiemein
Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 4/94 entnommen.