Verweigererquote 70 Prozent

Spanien: Das Vorzeige-Land der KDV-Bewegung

Un, dos, tres - unsere spanischen Campagneros sind die Vorzeige-Verweigerer Europas. Erstens setzten sie 1984 ein Gesetz über Kriegsdienstverweigerung durch, dann ging (fast) keiner zum Zivildienst und schließlich kippten sie die Wehrpflicht, die offiziell bis zum Jahr 2003 abgeschafft werden soll. Dieses Jahr haben von 170 000 Wehrpflichtigen fast 120 000 den Kriegsdienst verweigert, eine Quote von beinahe 70 Prozent. So weit, so gut. Das Problem: Gegen "Insumisos" (Totalverweigerer) geht der spanische Staat mit äußerster Härte vor. Wer beides (Wehr- und Zivildienst) verweigert, wird nicht nur mit Gefängnis, sondern auch mit dem Entzug der "bürgerlichen Rechte" für zwölf Jahre bestraft.

Zudem hat mit dem Entscheid zur Abschaffung der Wehrpflicht das Medieninteresse an der Kriegsdienst- und Totalverweigerung stark nachgelassen. Rafael Ajangiz von der baskischen MOC berichtet, wie die Bewegung damit umgeht und welche strategischen Ziele sie in Zukunft verfolgt.

"Insumision" heißt wörtlich übersetzt (ziviler) "Ungehorsam". Genau das war die Strategie der Bewegung seit dem Gründungsdatum 1977: Die Wehrdienstverweigerer kämpften mittels zivilem Ungehorsam sowohl gegen den Militär- wie auch den Ersatzdienst. Die Geschichte der spanischen Totalverweigerung ist in tilt schon mehrfach dargestellt worden, deshalb nur kurz ein Rückblick auf den "spanischen Sonderweg". Zwei historische Komponenten spielen dabei eine Rolle. Zum einen: Die Wehrpflicht war im Post-Franco-Spanien nie sonderlich beliebt, bestenfalls wurde sie als etwas unvermeidliches angesehen. Gleichzeitig erfreut sich ziviler Ungehorsam in Spanien größter Beliebtheit. Dinge, die einem nicht passen, werden einfach ignoriert - oder bekämpft. So begegnet die Bevölkerung der konservativen Hierarchie der katholischen Kirche mit Ungehorsam, die Leute verweigern sich der Autobahnsteuer und im Baskenland den spanischen Institutionen. Zum zweiten - und das begünstigt diese Haltung, verglichen mit Deutschland oder der Schweiz - sieht sich der spanische Staat nicht in der Lage, seine Vorhaben und Gesetze auch wirklich durchzusetzen. So war die Regierung nach der Einführung eines Zivildienstes 1989 außerstande, diesen auch zu organisieren, weil Stellen, die die Zivis hätten aufnehmen sollen, sich weigerten, dies zu tun. Dieses Chaos hat letztendlich dazu geführt, daß viele Verweigerer dies als Chance begriffen, dem Dienst ganz zu entgehen.

Verweigern hat in Spanien Tradition

Warum entschied sich die spanische KDV-Bewegung von vornherein für die Totalverweigerung? Der Hauptgrund liegt darin, daß die KDV-Bewegung kein Zusammenschluß von Gewissenverweigerern war, die ihre Rechte gewahrt wissen wollten. Vielmehr war sie eine gesamtgesellschaftliche Bewegung mit antimilitaristischer Zielrichtung, die Wehrpflichtige, Nicht-Wehrpflichtige, Männer und Frauen für eine "gesellschaftliche Abrüstung" vereinte. Strategisch wurde dabei hinterfragt, wie Totalverweigerung zu einer Herausforderung für die Regierung werden kann. Die Antwort: Statt individueller Auflehnung gegen das Militär kollektive Handlungsweisen. Die erwarteten Bestrafungen nahm man in Kauf, um die Sache öffentlich anzuprangern. Der Protest bis zur Verhaftung wurde von den Medien aufgegriffen, und die Öffentlichkeit übte zunehmend Druck auf das Militär aus. Ein weiterer Strategiepunkt waren Übereinkünfte mit politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen. Dabei waren die dezentralen und teilweise separatistischen Tendenzen vieler Landesparlamente sehr hilfreich, die dem Zentral-Militär ohnehin eins auswischen wollten.

Die Bewegung schafft sich selbst ab

Mittlerweile besteht die Armee nur noch aus 34 000 Berufssoldaten, obwohl sich die Sollstärke auf 120 000 beläuft. Die Situation des spanischen Militärs ist denkbar schlecht, aber der Erfolg durch die Abschaffung der Wehrpflicht bedroht auch die Insumisos-Bewegung selbst. Wahrscheinlich war sie ihrem Ziel, die Armee abzuschaffen, nie näher als jetzt. Aber die Bevölkerung, die Medien und die Politiker sind mehr als zufrieden mit dem Ende der Wehrpflicht und denken, daß der Konflikt damit beendet ist.

tilt

 

Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 4/97 entnommen.