Über Disziplin und Leidfäden

Warum es im Zivildienst mehr Pflichten als Rechte gibt

Der Zivildienst ist ein "staatliches Zwangsdienstverhältnis". Da deckt sich der juristische Sprachgebrauch auf verblüffende Weise mit den realen Gegebenheiten. Viele Zivis täuschen sich darüber gerne hinweg, weil sie mit ihrer Dienststelle Glück hatten oder sich einfach nicht weiter Gedanken gemacht haben. Zu "vergessen", daß Zivildienst Zwangsdienst ist, kann in den unscheinbarsten Situationen unangenehme Folgen haben. Denn auch zivildienstleistende Kriegsdienstverweigerer erfüllen die Wehrpflicht. Das Zivildienstverhältnis wird durch die "Heranziehung zum Zivildienst" begründet, was wiederum die Anerkennung als "Kriegsdienstverweigerer" voraussetzt. Alles weitere regelt das Zivildienstgesetz (ZDG). Und in vielen Bestimmungen ähnelt das ZDG dem Wehrpflichtgesetz (WPflG). Kein Wunder, ist das ZDG doch aus dem WPflG abgeleitet.

Der Zivildienst ist kein reguläres Arbeitsverhältnis. Er kennt – wie jeder Zwangsdienst – weder Tarifverträge noch Kündigungsklauseln, weder die freie Wahl des Arbeitsplatzes noch den Betriebsrat. Ihr werdet ersatzweise zu einer Beschäftigung herangezogen, weil ihr den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert habt. Folglich gehorcht dieses auf der Wehrpflicht beruhende Dienstverhältnis militärähnlichen Regeln und Strukturen.  

Sämtliche Regeln und Erläuterungen dazu stehen im "Leitfaden für die Durchführung des Zivildienstes", kurz "Leitfaden" oder LF genannt. Er wird vom Bundesamt für den Zivildienst (BAZ) herausgegeben. Da sich die Ausführungsbestimmungen öfters mal ändern, wird der Leitfaden, der als Loseblattsammlung organisiert ist, ständig durch Ergänzungslieferungen auf den neuesten Stand gebracht und durch "Sonderinformationen" ergänzt. Jede Dienststelle besitzt mindestens ein Exemplar des Leitfadens, den sie ordnungsgemäß auf dem neusten Stand halten muß (was aber oft nicht der Fall ist). Ihr habt das Recht, auch während der Dienstzeit den LF einzusehen. Die Einsichtnahme darf nicht verweigert werden. Sie ist auch nur an der Dienststelle selbst möglich, da der Leitfaden weder im Buchhandel noch in Bibliotheken erhältlich ist. Vertrauensleute der ZDL haben das Recht, den Leitfaden gegen Quittung für einige Zeit von der Dienststelle auszuleihen um ihn in Ruhe (auch zu Hause) durchzuarbeiten.

Wir raten euch, den Leitfaden häufig zu benutzen, da ihr bei sorgfältigem Studium auf Dinge stoßen werdet, die von Nutzen sind. Andererseits ist der LF oft in verquastem Beamtdendeutsch geschrieben, und außerdem stellt er die Vorschriften natürlich ausschließlich aus der Sicht des BAZ dar. Wer seine Rechte kennenlernen und durchchsetzen will, wird daher kaum um den Kauf eines speziellen Ratgebers zum Zivildienst herumkommen. tilt empfiehlt das "Zivi-Kursbuch" von Uwe Erdmann, Markus Ermert und Matthias Kittmann (Zweite Auflage, Klartext-Verlag 1997, 16,80 Mark.)

Grundpflichten

Das ZDG legt analog zum Soldatengesetz sogenannte Grundpflichten fest, die von euch als ZDL beachtet werden sollen. Diese Grundpflichten werden durch Bestimmungen über die Politische Betätigung und Verschwiegensheitsforderungen ergänzt. Als Grundpflichten sind unter anderem festgelegt:

pin_bl.gif (447 Byte) "Der Dienstleistende hat seinen Dienst gewissenhaft zu erfüllen. Er darf durch sein Verhalten den Arbeitsfrieden und das Zusammenleben innerhalb der Dienststelle nicht gefährden."

pin_bl.gif (447 Byte) "Außer Dienst hat sich der Dienstleistende außerhalb der dienstlichen Unterkünfte so zu verhalten, daß er das Ansehen des Zivildienstes oder der Einrichtung, bei der er seinen Dienst leistet, nicht ernsthaft beeinträchtigt."

pin_bl.gif (447 Byte) "Er muß die mit dem Dienst verbundenen Gefahren auf sich nehmen."

Diese Pflichten bestehen sowohl gegenüber den anderen Beschäftigten der Dienststelle, als auch gegenüber euren Zivikollegen. Mag sein, daß die auf "Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Sauberkeit, Achtung der Meinungsfreiheit" und all die anderen schönen deutschen Tugenden keinen großen Wert legen, doch die Dienststelle kann sie einfordern.

Diese Formulierungen mögen zwar allgemein und unverbindlich klingen. Wenn jedoch die Dienststelle es will, kann sie damit den Zivis das Leben ganz schön schwer machen. Welche Instrumente ihr dabei zur Verfügung stehen (dienstliche Anordnungen, Disziplinarmaßnahmen, Versetzungen und ähnliches) lest ihr in der nächsten tilt.

Stefan Münzberg

 

Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 4/97 entnommen.