Seit acht Jahren üben sich die Berliner Regierenden im Umbenennen von Straßen und Plätzen. Opfer der Transformation waren zumeist Kommunisten und Antifaschisten im Ostteil der Stadt. Generäle und die Kaiserfamilie hingegen kamen zu neuen beziehungsweise alten Ehren. Anfang Januar wurde jedoch die Hellebarde umgedreht: Ein zentraler Platz am damaligen Hauptbahnhof (jetzt wieder: Ostbahnhof) wurde nach dem unter den Nazis hingerichteten Kriegsdienstverweigerer Hermann Stöhr benannt.
Noch vor Kriegsanfang, im August 1939, kam Hermann Stöhr seinem Einberufungsbefehl nicht nach. Das brachte ihm zuerst nur ein Jahr Gefängnis ein. Als Stöhr dort jedoch den Eid auf Adolf Hitler verweigerte, wurde er zum Tode verurteilt und im Juli 1940 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Im Dezember 1997 (Nach nur 57 Jahren!) wurde das Urteil gegen Stöhr vom Berliner Landgericht aufgehoben. Dadurch konnte der Platz pünktlich zu dessen 100. Geburtstag am 4. Januar umbenannt werden. Die Bezirksfraktion von Bündnis 90/Grüne des Bezirks Friedrichshain hatte sich zusammen mit der Ost-Berliner Friedensbibliothek für die Rehabilitierung Stöhrs eingesetzt und den entsprechenden Antrag im Bezirksparlament eingebracht.
Ein sieben Tonnen schwerer Findling aus einem Braunkohletagebau wurde vom Bildhauer Roland Luchmann zu einem Denkmal umgestaltet. Die Kosten für das Denkmal wurden durch Spenden aufgebracht. Mit dem Denkmal wurde erstmals in dieser Form ein einzelner zum Tode verurteilte Kriegsdienstverweigerer in der BRD geehrt.
Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 2/98 entnommen.