Es geht auch anders: Nachdem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Apartheid in Südafrika als ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" verurteilt hatte, stellte er 1978/80 fest, daß die Sicherheitskräfte, also Militär und Polizei, Instrumente zur Aufrechterhaltung dieses "Verbrechens" darstellen. Der Dienst in diesen Institutionen sei unabhängig von konkreten Einsätzen und Befehlen zu verweigern und die Staaten sollten diesen Personen Asyl gewähren, dies haben sie i.d.R. auch bekommen, aber nicht in Deutschland. Wohl über 50.000 Weiße hatten Südafrika verlassen und so zur Abschaffung der Apartheid beigetragen.
Von den derzeit geführten Kriegen sind zwar nur wenige verurteilt (z.B. die Besetzung Nagorny-Karabachs durch Armenien), es kommen aber in allen - das entspricht ihrer Natur - völkerrechtswidrige Akte vor, z.B. Übergriffe auf die Zivilbevölkerung. Wer sich an ihnen nicht beteiligen möchte, muß den Dienst verweigern. Die Strafverfolgung der entsprechenden Verweigerer ist unrechtmäßig und es müßte ihnen Asyl gewährt werden, so die internationalen Empfehlungen des UNHCR (UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge).
Auch wenn Staaten das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung nicht anerkennen, kann das zum Fluchtgrund werden. So fordert z.B. amnesty international neuerdings, daß "Wehrdienstverweigerer und Deserteure aus Gewissensgründen, denen Bestrafung in ihrem Herkunftsland droht, in der Bundesrepublik Deutschland effektiver und dauerhafter Schutz gewährt wird".
Auf der Fachtagung informierten und diskutierten an die 50 TeilnehmerInnen vorwiegend aus der Beratung von Flüchtlingen Fragen des asylrechtlichen Schutzes von Kriegdienstverweigerern und Deserteuren.
Den Einstieg gab Bojan Aleksov, selbst Kriegsdienstverweigerer, der bei Frauen in Schwarz in Belgrad mitarbeitet. Er führte den großen Widerstand von Wehrpflichtigen gegen die Kriege in Ex- Jugoslawien im Detail aus. Etwa eine halbe Million entzogen sich dort den Einberufungsbefehlen. Er wies auch darauf hin, daß kein Staat bereit war, diese Kriegsdienstentzieher wirklich aufzunehmen - und daß trotz mangelhafter Amnestie und fehlendem bzw. unzureichendem Recht auf Kriegsdienstverweigerung die Deserteure nun wieder in den Machtbereich derjenigen zurückgeschickt werden, die diese Kriege zu verantworten haben.
Der Diplompolitologe Gernot Lennert gab einen historischen Abriß über die Rekrutierung und die Wehrpflicht. Dabei arbeitete er heraus, daß das Recht auf Kriegsdienstverweigerung dem Recht des Staates auf Krieg untergeordnet ist. In Deutschland eröffnet ihm zufolge die Einschränkung auf "Gewissensgründe" dem Staat die Möglichkeit diese nach Gusto zu begrenzen. Noch am besten sei es in den angelsächsischen Ländern geschützt, wo Wehrpflicht zumindest in sog. Friedenszeiten ausgesetzt ist. Auch Ersatzdienste seien abzulehnen, da sie zur Stabilisierung der Wehrpflicht beitrügen.
Weitere Berichte legten die Lage von Deserteuren aus Kosovo/a, Türkei/Kurdistan und Algerien dar, wobei sowohl die durchwegs großen Zahlen derjenigen auffiel, die sich dem Kriegsdienst zu entziehen versuchen als auch die Arbeit mit ihnen, die zumeist im Bereich zwischen Asylablehnung, Kirchenasyl, Abschiebeknast, Illegalität und Abschiebung angesiedelt ist.
Nach Rechtsanwalt Reinhard Marx haben Kriegsdienstverweigerer in etlichen Fällen durchaus gute Chancen, wenn schon nicht Asyl, so doch zumindest einen rechtlichen Abschiebeschutz zu bekommen: "Da ist noch Musik drin!" Die Vertreterin des UNHCR, Anja Klug, stellte internationale Bestimmungen vor, nach denen wohl nicht nur in Ausnahmefällen Kriegsdienstverweigerer aus Kriegsgebieten in Deutschland Schutz bekommen könnten. Auch wenn diese für die deutsche Asylrechtsprechung nicht bindend sind, so fällt doch auf, daß sie vielfach auch nicht oder nicht mit entsprechendem Nachdruck eingefordert werden.Auch die zwei Richter höherer Gerichte arbeiteten in ihren Referaten anhand der Entscheidungspraxis gewisse Chancen für Einzelfälle heraus. Dabei war interessant zu erfahren, daß es die aus dem Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer bekannte Einschränkung auf Gewissensgründe und eine pazifistische Argumentation im Asylverfahren so nicht gibt, ja daß sogar eine selektive Verweigerung eines spezifischen Krieges einen Schutz des Betreffenden nicht ausschließen. Allerdings betonten beide ebenfalls, daß die herrschende Rechtsprechung anderer Auffassung ist.
Gewisse Erfolge sind trotz der fremdenfeindlichen und kriegsunterstützenden Politik auch in Deutschland bislang zu verzeichnen. Immer mehr Betroffene gründen Selbstorganisationen und eröffnen Beratungsstellen. Einige Verweigerer z.B. aus der Türkei haben Asyl bzw. Abschiebeschutz erhalten. Einige Städte z.B. Münster haben ihre Bereitschaft erklärt, Deserteure aus aktuellen Kriegen aufzunehmen, in anderen z.B. Osnabrück und Bonn werden entsprechende Beschlüsse derzeit vorbereitet. Hunderte abgewiesene Asylsuchende werden in Kirchen vor Abschiebung geschützt. Bündnis 90/Die Grünen fordern nun gemäß ihrem Programm den asylrechtlichen Schutz für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure.
Franz Nadler, Connection e.V
Zum Thema "Kriegsdienstverweigerung und Asyl in aktuellen Kriegen" wird mit Berichten zu Jugoslawien (Kosovo/a), Türkei, Rußland, Ukraine, Bosnien (Republika Srpska), Armenien und Aserbaidschan eine Broschüre im Mai erscheinen. Voraussichtlich 8 DM plus Porto. Bezug: Connection e.V., Gerberstr. 5, 63065 Offenbach, Tel.: 069-8237 5534, Fax: 069-8237 5535, E-mail: Connection@link-f.rhein-main.de
Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 2/98 entnommen.