Briefe an tilt

Stolz auf den Zivi-Zynismus?

Leserbrief zu tilt 3/97: Morgens um fünf ist die Welt noch in Ordnung

Johannes Guthschink beschreibt Erfahrungen eines Zivildienstleistenden, eigene Erfahrungen vielleicht oder Erinnerungen, natürlich nicht die besten. Wie sollte es auch eine gute Erfahrung sein: Zivildienstleistende leisten Zivildienst bekanntlich nicht aus Neigung sondern weil sie ihn, verglichen dem Kriegsdienst mit Waffen, als das kleinere Übel ansehen. Von »freier Entscheidung« kann nicht die Rede sein, wenn zwangsweise Arbeiten verrichtet werden, für die nicht nur die Ausbildung, sondern auch die nötige menschliche Reife fehlt. Schwere Arbeit kann zynisch machen, klar. Guthschink scheint stolz darauf zu sein.

Würde eine Krankenschwester öffentlich über ihre Arbeit so sprechen wie der Zivi in diesem Artikel, die Leserinnen und Leser wären vermutlich empört. Von ausgebildeten Pflegerinnen und Pflegern, die sich für diesen Beruf entschieden haben, wird erwartet, daß sie die Patienten nicht mit Fliegen vergleichen. Daß die Realität manchmal anders aussieht, ist wahr, doch gerade Pfleger und Krankenschwestern arbeiten oft mit hoher Motivation für verhältnismäßig wenig Geld. Daß sie im Gegensatz zu Zivildienstleistenden generell zu wenig arbeiten (wie es auch im Beitrag von Karl Schwanzens anklingt), dürfte leicht übertrieben sein.

Ganz ausgeblendet werden in Guthschinks Artikel die Erfahrungen und Erlebnisse von Leuten, die der »Pflege« unmotivierter Zwangsdienstleistender anvertraut werden. Der Glaube, junge Männer würden beim Zivildienst »erzogen«, ist weit verbreitet. Doch dazu sind die Menschen, die ihr Leben lang schwer gearbeitet haben nicht da. Viele leiden überdies nicht nur an Krankheiten, die sie bettlägerig machen, sondern ganz besonders unter ihrer wenig menschenfreundlichen Umgebung. Es ist für sie eine Zumutung, und auch ich möchte, sollte ich eines Tages Pflege bedürfen, nicht von unwilligen und unausgebildeten jungen Zynikern gepflegt werden.

Ulrike Meyer, Wedemark

 

Keine Anerkennung für Rattenjäger?

Leserbrief zu tilt 4/97: Ein Tritt in den Arsch vom Zivi-Boß

Eine Anerkennung des Zivildienstes in der Öffentlichkeit wäre eine große Hilfe. Mich hat echt angekotzt, daß man für viele Kollegen und andere Leute, mit denen man während der Arbeit zu tun hat, so eine Art minderwertiger Aushilfsheini war, dem man alles sagen durfte, weil er sich ja nicht wehren darf.

Da kann es dann schon einmal sein, daß man mit einer Erkältung nicht zur Arbeit, sondern zum Arzt geht. Ich meine, man muß sich ja nicht noch den Arsch für eine Arbeit aufreißen, die man in dieser Form lieber nicht machen will, aber machen muß und die dann nicht einmal anerkannt wird! Es ist ja wohl das Letzte, wenn man statt Entgegenkommens nur eine Drohung vom BAZ bekommt.

Ich hatte zum Beispiel richtige Rückenprobleme im Zivildienst bekommen, und der Arzt schrieb mich krank. Um nicht noch länger zu fehlen, bin ich dann nach anderthalb Wochen wieder zur Arbeit gegangen und habe gedacht, daß ich dann vielleicht nicht mehr so viele den Rücken belastende Arbeiten ausführen müßte. Statt dessen hat mein Chef mir indirekt vorgeworfen, ich sei ja nur zu faul für die Arbeit, und wenn ich die Arbeit nicht ausführen würde, müßte ich schon krank geschrieben werden, oder er würde es dem BAZ melden. Das hat man nun von »Pflichtbewußtsein«. Also bin ich noch am gleichen Tag zum Arzt gegangen und habe ihm den Fall geschildert.

Er hat mich dann erst einmal für zweieinhalb Wochen krank geschrieben und mir dann einen Attest gegeben, daß ich nur noch leichte Tätigkeiten ausführen dürfe (für die folgenden acht Wochen). Danach hatte ich Urlaub – und dann war ich fertig mit dem Zivildienst.

Wenn Zivis immer für alle Drecksarbeit herhalten müssen, warum schickt man sie nicht gleich auf die Müllkippe zum Rattenjagen?

Steffen Voß

 

Diese Texte wurden der tilt-Ausgabe 1/98 entnommen.